Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
Vom Netzwerk:
aber in Wahrheit war es genau umgekehrt; die einzige Information, die Boisseau ihm hatte zukommen lassen, war zuvor von Marc Grelle geprüft und genehmigt worden. Am Mittwochvormittag, dem 22. Dezember, zeigte Boisseau seinem Chef die Fotokopie. »Es kann also sein, daß es noch einen Zeugen gibt, der nicht  auf Lasalles Liste stand«, sagte Grelle nachdenklich. »Das heißt, wenn sie nach all diesen Jahren noch am Leben ist …« »Das ist sie. Ich habe mit dem Polizeiposten von Saverne telefoniert. Sie lebt in einem abgelegenen Bauernhaus weitab von Saverne - hoch oben in den Vogesen. Dieser Brief hat mich dazu gebracht, die Akten noch einmal durchzusehen. Wir hatten eine übersehen. Annette Devaud unterstanden die Kuriere des Leoparden. Wirklich interessant könnte aber ihr Name sein …«
     »Annette Devaud - Lucie Devaud …« 
    Der Präfekt verschränkte die Hände im Nacken und sah seinen Stellvertreter vielsagend an. 
    »Alle Kanäle verschlossen, habe ich gesagt. Kommt drauf an. Also gut, Boisseau, fliegen Sie nach Saverne. Ja, heute nachmittag, ich bin einverstanden. Angesichts dessen, was den anderen Zeugen zugestoßen ist, sollten Sie vielleicht lieber in Saverne anrufen und um Polizeischutz für die alte Dame bitten.«
     »Sie muß alt sein - sie könnten sie erschrecken. Und außerdem: Sie stand nicht auf Lasalles Liste. Warum sollte sie also beim Kommando auf der Abschußliste stehen? Sowohl Lasalle wie das Kommando müssen mit der gleichen Liste gearbeitet haben - die Tatsachen sprechen dafür. Wo sehen Sie die Gefahr?«
     »Ich überlasse es Ihnen«, sagte der Präfekt. Bei der Fahrt durch die elsässische Ebene zwischen Straßburg und den Vogesen geriet Lennox schon bald in schlechtes Wetter. Dichte Regenschleier senkten sich auf die leere Straße und die ohnehin schon überfluteten Felder; im Hintergrund war wegen dichten Nebels nichts mehr von den Vogesen zu sehen. Das Wasser strömte gegen die Windschutzscheibe, aber Lennox fuhr weiter. Plötzlich begann der Motor zu klopfen. Lennox fluchte, denn er wußte, daß die vor ihm liegenden Bergstraßen schwierig werden konnten. Es war seine eigene Schuld: Die Leute bei Hertz hatten ihm von diesem Wagen abgeraten, aber es war der einzige verfügbare Mercedes gewesen. »Die Inspektion ist noch nicht gemacht worden, Monsieur«, hatte das Mädchen protestiert. »Ich bin nicht befugt …« Lennox hatte sich ungeduldig über ihre Einwände hinweggesetzt, weil er den Wagen unbedingt hatte haben wollen. Jetzt mußte er für seinen Starrsinn bezahlen.
     Beim Weiterfahren auf der einsamen Strecke wurde das Klopfen schlimmer, und Lennox wußte, daß er dumm gehandelt hatte. Er blinzelte durch die Windschutzscheibe und sah ein Schild: Auberge des Vosges und Tankstelle - 500 Meter. Er wollte ohnehin nach der genauen Adresse von Annette Devaud fragen - und herausfinden, ob sie überhaupt noch am Leben war. Durch den Regen hindurch erkannte er die Umrisse eines kleinen Hotels mit angeschlossener Tankstelle und Werkstatt. Er hielt vor den Zapfsäulen an, kurbelte das Seitenfenster herunter und bat den Tankwart, den Wagen mal anzusehen. Wenige Minuten später kam der Tankwart mit einer schlechten Nachricht an die Hotelbar. Er habe den Fehler gefunden: Es werde ein paar Stunden dauern, bis er den Schaden behoben habe.
     »Können Sie’s ein bißchen schneller schaffen?« fragte Lennox.
    »Ich fange gleich an«, informierte ihn der Tankwart. »Ich kann mich beeilen. Sagen wir, zwei Stunden.«
    Lennox bestellte sich einen zweiten Cognac und zwei Schinken-Sandwiches. Es kamen zwei appetitliche Stücke aufgeschnittenen französischen Weißbrots mit gekochtem Schinken.
    Hätte der Tankwart drei Stunden gesagt, hätte Lennox sich versucht gefühlt, einen anderen Wagen zu mieten. Hungrig biß er in das Sandwich; die zwei Stunden würden die Welt nicht aus den Angeln heben.
    Annette Devaud, die ihren Lebensabend auf dem Holzfällerhof verbrachte, hatte 1944 in der Résistance-Gruppe des Leoparden eine Schlüsselposition innegehabt: Ihr waren sämtliche Kuriere unterstellt gewesen, meist Mädchen um die zwanzig, die den Kurierdienst direkt vor der Nase des Feindes aufrechterhalten hatten. Annette Devaud war damals eine fast vierzigjährige, schlanke und gutaussehende Frau mit einer stolzen Römernase und einer Aura von Autorität gewesen, die fast der des Leoparden gleichkam. Von all den Männern und Frauen, die unter ihm gearbeitet hatten, hatte der Leopard Annette

Weitere Kostenlose Bücher