Nummer 28 greift ein Wir Kinder aus der Brunnenstraße
Schweigen genervt.
»Nein, nein, ganz bestimmt nicht!«, beteuerte Fiede. »Es interessiert mich einfach nur.«
»Keine Ahnung«, sagte Elmo achselzuckend. »Kannst ihn ja morgen selber fragen, wenn wir zusammen auf den Jahrmarkt gehen.«
»Was macht dein großer Bruder eigentlich beruflich?«, fragte Nadeshda ihn. Sie hätte sich auf die Zunge beißen können. Ihre
Frage musste für Elmo genauso merkwürdig klingen wie Fiedes.
Elmo kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Geschäfte«, sagte er kurz. »Mal dies, mal das. Kann er euch ja morgen auch alles
ganz genau erzählen, wenn es euch wirklich so interessiert.« Er schien es plötzlich sehr eilig zu haben. »Ich muss los. Bis
morgen denn auf dem Jahrmarkt!«, rief er ihnen im Weggehen zu. »Wir treffen uns um vier Uhr am Eingang der U-Bahnstation Feldstraße!«
Nadeshda schaute Elmo bedauernd hinterher. Schade, dass er so schnell abgehauen war.
»Und?«, fragte Fiede, als er sich sicher war, dass Elmo außer Hörweite war. »Stehen Melene und Horsti inzwischen wieder vor
dem Supermarkt?«
»Nein«, sagte Nadeshda. »Die sind nicht wieder aufgetaucht.«
Gogo schaute plötzlich erschrocken auf seine Uhr. »Das ist nun auch egal. Wir müssen jetzt auf der Stelle los.«
Er sauste mit Poli-Kala los, so schnell es deren kleines Kinderrad hergab. Nadeshda und Fiede trödelten mit dem Tandem hinterher.
Beim Altonaer Balkon fuhren sie über die Fußgängerbrücke, um zu den Grünanlagen am Elbhang zu gelangen. Unter ihnen staute
sich der Autoverkehr in Richtung Elbchaussee. Nadeshda, die eigentlich besser auf den Mann mit dem Hund hätte achten sollen,
der ihnen auf der Brücke entgegenkam, schaute hinunter auf die Straße. Sie verstand selbst nicht warum, doch von irgendetwas
wurde ihr Blick dortunten angezogen. Und da sah sie sie! Nadeshda traute ihren Augen nicht! Abrupt bremste sie und brachte das Tandem mit quietschenden
Bremsen zum Stehen. Der Hund zuckte zusammen und begann wild zu bellen.
»Hey!« Fiede beschwerte sich empört: »Nadeshda, was ist denn jetzt schon wieder? Du kannst doch nicht andauernd plötzlich
ohne Vorwarnung bremsen, dass ich jedes Mal fast vom Rad kippe! Hast du etwa den armen Hund angefahren?«
Statt ihm den Grund für die Vollbremsung zu nennen, rief Nadeshda nur: »Halt mal das Tandem fest, Fiede, schnell!«
Sie rannte zum Brückengeländer und beugte sich hinüber, um besser sehen zu können. Im ersten Moment hatte sie vom Tandem aus
nur Melene erkannt, die unter der Brücke auf dem Fußgängerweg stand und aufgeregt auf einen Jungen einredete. Doch jetzt erkannte
sie, um wen es sich bei dem Jungen handelte, der da mit verschränkten Armen stand und mit dem Melene da unten offensichtlich
stritt. Ihr Herz begann, wie wild zu schlagen.
Fiede, der hinter ihr mit dem Tandem stand, beschwerte sich: »Hey, kannst du mir endlich mal sagen, was los ist?«
Nadeshda antwortete nicht. Sie war schrecklich durcheinander. Elmo hatte doch behauptet, er würde Melene gar nicht kennen!
»Nadeshda«, rief Fiede ungeduldig. »Klärst du mich bitte mal auf?«
Was sollte sie Fiede sagen? Da sah sie vor sich auf dem Boden einen Zeitungsfetzen liegen. Mit roter Farbe war in fetten Überschriftlettern
das Wort Blut zu lesen. Sie wusste selber nicht, weshalb sie Fiede nicht die Wahrheit sagte. »Ich ... ich habe Nasenbluten«, log sie und wurde knallrot.
»Oh«, sagte Fiede teilnahmsvoll. »Brauchst du ein Taschentuch?«
»Nein, nein, geht schon«, behauptete Nadeshda. »Dauert nur einen Moment.«
Sie beugte sich noch weiter über das Brückengeländer und versuchte, etwas von der Auseinandersetzung zwischen Melene und Elmo
mitzubekommen. Es war unmöglich. Einmal meinte sie, ihren Namen gehört zu haben. Aber sie konnte sich auch getäuscht haben.
Die Entfernung war einfach zu groß, um mehr als ein paar unverständliche Satzfetzen vernehmen zu können. »Das kannst du nicht
machen . . .!«, war nur schwach ein Aufschrei von Melene zu hören. Und kurz darauf: »Das verzeihe ich dir nie!« Dann rannte
Melene davon.
Fiede wandte den Kopf um. Er runzelte die Stirn. »War das nicht eben Melenes Stimme?«
»Die Stimme von Melene?« Nadeshda kam sich ganz elend vor, weil sie Fiede schon wieder belog: »Nein, da musst du dich getäuscht
haben.«
»Seltsam, klang aber genau wie Melene«, murmelte Fiede. »Ich hätte schwören können . . .«
Nadeshda unterbrach ihn. Schnell behauptete sie, ihr Nasenbluten
Weitere Kostenlose Bücher