Nummer Drei: Thriller (German Edition)
»Du kannst mich doch nicht einfach s o …«
Er war längst fort.
Sie können sich vorstellen, dass ich nicht bester Laune war, als ich nach dem Abendessen ins Kino ging.
Deshalb war die Überraschung, die mich dort erwartete, umso größer.
Als ich die Tür öffnete, war es im Innern völlig dunkel. Ich tastete nach dem Lichtschalter, aber mir kam jemand zuvor und riss ein Streichholz an. Ich hörte es ratschen, sah die Flamme, das Gesicht und die wie Schalen zusammengelegten Hände meines Dads, die in der Dunkelheit zu schweben schienen.
Dann bewegte sich die Flamme, und eine Kerze erschien. Eine große Kerz e … die in einem Kuchen steckte.
Happy birthday to you, sangen sie.
Sie zündeten weitere Streichhölzer an, und nach und nach erschienen die Menschen im Raum, die alle Kerzen in den Händen hielten. Jetzt erkannte ich auch, dass es die für Notfälle gedachten Kerzen der Jacht waren. Sogar im Kuchen steckte eine. Sie wirkte in dem kleinen dunklen Kuchen unmöglich groß.
»Is t … ist das Schokolade?«, fragte ich, als die anderen zu singen aufgehört hatten.
Es waren nur die Crew und meine Familie, nirgends war ein Pirat zu sehen.
»Ja, Amybärchen«, bestätigte mein Dad. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
»Ist denn heute der sechste Oktober?«
»Ja, schon«, bestätigte er. »Offensichtlich.«
»Wow«, machte ich. »Wow. Ich bin achtzehn.«
Dann brach ich in Tränen aus.
Natürlich beruhigte ich mich bald wieder und aß ein Stück Kuchen. Ich fand ihn echt lecker. Ich meine, er war in der Mitte etwas pappig und schmeckte nicht ganz nach der Schokolade, an die ich gewöhnt war. Aber wenn ich bedachte, unter welchen Umständen er gebacken worden war, war er ziemlich gut.
Irgendwie kam es mir komisch vor, dass wir Geiseln unter uns waren. Aber wäre es nicht noch seltsamer gewesen, wenn die Piraten an meiner Geburtstagsfeier teilgenommen hätten? Alle waren leicht hysterisch. Tony machte einen Scherz über die Notfallkerzen, die wir wahrscheinlich nicht mehr brauchen würden, und alle lachten viel lauter als angebracht. Die Stiefmutter küsste mich auf die Wange, was mir sogar nichts ausmachte.
»Scharaden!«, rief Tony. »Das wird lustig. Kommt, macht alle mit!«
»Fangen Sie schon mal an«, erwiderte Dad. »Wir sind danach an der Reihe.«
Dann nahm Dad mich zur Seite und fuchtelte nervös mit den Händen herum.
»Ich wollt e …«, begann er. »Ich meine, ic h … das heiß t …«
»Bekomme ich eigentlich kein Geschenk?«, fiel ich ihm ins Wort. Es sollte ironisch und witzig klingen, denn wie sollte er ein Geschenk besorgen, wenn wir von Piraten gefangen gehalten wurden? Offensichtlich hatte ich mich aber im Ton vergriffen, denn er wirkte betroffen.
»Ich hatte eins«, sagte er. »Ich hatte tatsächlich ein Geschenk, aber ich glaube, es war nicht so passend. Nur etwas Schmuck. Teurer Schmuck. Ich weiß nicht. Jetzt kommt es mir dumm vor.«
»O ja.« Ich lächelte. »Was du dir auch ausdenkst – schenk mir keinen teuren Schmuck! Das wäre schrecklich.«
»Äh m …«, machte er. »Ja, na gut. Wenn du willst, kann ich ihn natürlich holen. Ich habe ihn in meiner Kabine versteckt. Ich könnt e …«
»Dad, ich mache Witze«, beruhigte ich ihn. »Du hast schon recht, im Augenblick brauche ich keinen Schmuck.«
»Oh, gut!« Dann errötete er. »Ich besorge dir ein anderes Geschenk, wenn wir wieder zu Hause sind. Etwas Besseres. Wenn wir wieder zu Hause sind, musst du mir nur sagen, was du willst. Ich kaufe es dir. Egal, was es ist.«
»Darauf komme ich gern zurück«, entgegnete ich.
Er erwiderte mein Lächeln.
Dann rief Tony uns zu sich, und der Augenblick war vorbei.
Wir spielten Scharade und bildeten eine kleine alberne Insel in dem allumfassenden Drama. Wie sich herausstellte, war Damian großartig. Er hätte Schauspieler werden sollen. Dad kam, was absehbar war, nicht sonderlich gut zurecht. Der Anblick, wie er umherflatterte, um Einer flog über das Kuckucksnest darzustellen, hat sich mir eingebrannt wie eine Tätowierung.
Als ich schlafen gehen wollte und gerade von der Toilette kam, begegnete mir die Stiefmutter.
»Es war nett, dich zusammen mit deinem Dad zu sehen. Ich meine, dass ihr mal miteinander geredet habt.«
»Äh, ja«, sagte ich. »Na gut.«
»Er liebt dich sehr, Amy.«
Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Das weiß ich doch.«
»Wirklich? Weißt du auch, dass er für den Kuchen bezahlt ha t ?«
»Was meinst du dami t ?« Ich runzelte die Stirn.
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