Nummer Drei: Thriller (German Edition)
»Es gibt hier doch keine Bäckereien.«
Ich hatte nicht weiter über den Kuchen nachgedacht und angenommen, er habe aus Zutaten bestanden, die wir an Bord hatten.
»Eier«, erklärte mir die Stiefmutter. »Für einen Kuchen braucht man Eier. Und Milch.«
Eine Möglichkeit oder ein Gedanke bildete sich in meinem Kopf heraus wie ein Haus, das im Dunklen in einer Kurve von einem Autoscheinwerfer erfasst wird.
»Meinst du, er hat die Piraten bezahlt, um Eier zu bekommen?«
»Ja. Er hatte in einem Schuh oder anderswo noch fünftausend Dollar versteckt, die er Ahmed gegeben hat. Ahmed hat diesen Jungen geschickt, de r …«
»Farouz«, warf ich ein. In meinem Kopf klickte es, als sich alles zusammenfügte.
»Ja. Den, der so gut Englisch spricht. Er hat sich zum Strand aufgemacht und hat die Eier besorgt. Gott allein weiß, was er anstellen musste, um sie zu beschaffen. Er hatte überall Blutergüsse.«
»Nicht zu fassen«, murmelte ich.
»So sehr liebt dich dein Dad«, bekräftigte die Stiefmutter. »Er wollte unbedingt, dass du einen Kuchen bekommst.«
»Gut«, sagte ich und schluckte schwer. »Danke, dass du es mir gesagt hast.«
Glauben Sie mir, es fiel mir nicht leicht, diese Worte auszusprechen. Dies umso mehr, weil die Stiefmutter so begeistert war. Sie sonderte ihr Entzücken ab wie Feenstaub.
»Gern geschehen, Amy«, antwortete sie.
Damit wandte sie sich um und kehrte ins Kino zurück.
Aber ich war eine undankbare Göre. Sie hatte völlig recht – was Dad getan hatte, war nett. Ich dagegen dachte vor allem an Farouz und stellte mir vor, wie er losgezogen war, um die Zutaten für meinen Kuchen zu besorgen, und wie er dabei verletzt worden war.
Davon bekam ich Magenschmerzen.
Nun ja, letzten Endes könnte man vielleicht einwenden, ich hätte genau das bekommen, was ich verdient hatte.
Am nächsten Tag fühlte ich mich seltsam. Ich war achtzehn. Volljährig. Das sollte eigentlich ein großes Ereignis sein, einer dieser Geburtstage, die man nie vergisst. Natürlich würde ich diesen Geburtstag nie vergessen, aber eben leider aus den falschen Gründen.
Ich fand keine Ruhe, konnte aber auch nicht einfach auf Farouz zugehen und ihn fragen, warum er sich beim Einkauf der Eier solche Schnittwunden und Prellungen zugezogen hatte. Schließlich verzog ich mich in mein Zimmer und hörte eine Weile Musik. Wir durften ja unsere Kabinen betreten, nur nicht dort schlafen. Ich war aber nicht mit dem Herzen bei der Sache.
Dann bemerkte ich aus den Augenwinkeln etwas Hölzernes.
Es war meine Geige. Die Piraten hatten sie anscheinend aus dem Koffer geholt und den Eindruck gewonnen, sie sei nicht nützlich, denn sie lag halb drinnen und halb draußen auf dem Samtpolster in meinem Schrank, der ein Stück offen stand.
Ich zog die Tür ganz auf, um die Geige aufzuheben.
»Spielst du?«, fragte jemand hinter mir.
Ich wandte mich um. Es war Farouz.
»Du solltest besser draußen bleiben«, warnte ich ihn. »Mein Dad erlaubt nicht, dass ich mit dir spreche.«
Warum sagte ich das? Eigentlich war es mir doch egal, was mein Dad erlaubte oder nicht erlaubte. Aber ich wollte Farouz wehtun, denn er hatte mir wehgetan, indem er mich in Angst versetzt hatte. Ich glaubte, alle Jungs hätten vor den Vätern der Mädchen Angst. Das stimmt wohl auf der ganzen Welt, und das schließt auch Somalia mit ein.
Gleichzeitig wollte ich natürlich auch, dass er blieb. Ich war mir selbst die schlimmste Feindin.
»Dein Vater spricht mit Ahmed auf der Brücke«, antwortete er.
Seufzend legte ich die Violine weg.
»Wie ich hörte, hast du zu meinem Geburtstagskuchen beigetragen.«
»Ein wenig.« Er hob die Schultern. »Dein Vater hat bezahlt.«
»Ich bin froh, dass du geholfen hast. Er hat gut geschmeckt. Danke.«
»Damit habe ich nichts zu tun«, antwortete er. »Deine Stiefmutter hat ihn gebacken.«
»Oh, wirklich?«
Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, wer den Kuchen gebacken hatte – das verzogene reiche Mädchen eben. Typisch. Aber wenn mich jemand gefragt hätte, dann hätte ich auf Felipe getippt.
»Ja«, bestätigte Farouz. »Ich glaube, es war ihr wichtig.«
Ich blinzelte.
»Oh«, machte ich noch einmal wie eine gesprungene Schallplatte. Seltsam, dass wir immer noch dieses Bild benutzen. Ich meine, ich hatte noch nie eine Schallplatte in der Hand gehabt.
»Geht es dir nicht gu t ?«, fragte Farouz. »Du scheinst s o … entfernt.«
»Wir sagen, jemand ist abwesend«, berichtigte ich ihn.
»Ah, danke. Also, du
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