Nummer Drei: Thriller (German Edition)
gehöre eigentlich gar nicht zu den anderen Piraten. Aber da saß er und spielte lächelnd die Oud, während Ahmed sang. Kein anderes Bild hätte den Inbegriff von Zusammengehörigkeit besser darstellen können als dieser Anblick. Vor Farouz’ Füßen stand eine offene Flasche, die vermutlich Whisky enthielt. Die Piraten lachten und strahlten ein starkes Einvernehmen und eine Zufriedenheit aus, die beinahe mit Händen zu greifen war.
Ich konnte die Augen nicht von Farouz abwenden.
Du bist nicht wie ich, erkannte ich und spürte einen schmerzhaften Stich. Du bist einer von denen, auch wenn du gebildet bist. Auch wenn du einfühlsam bist. Du hast eine Familie, mit der du auf dem Deck sitzt. Du hast einen Ort, an den du gehörst. Du hast deine Musik.
Und auch: Du hast mich belogen. Du hast mir das Gefühl gegeben, du seist anders und müsstest das alles nur tun, um deinen Bruder zu retten. Auch wenn das zum Teil vielleicht der Wahrheit entspricht.
Als ich Farouz betrachtete, wie er in der warmen Nacht die Oud in Händen hielt, ging mir auf, was ich bisher verleugnet hatte – er liebte sein Leben. Er war gern Pirat.
In diesem Augenblick hasste ich ihn von ganzem Herzen.
Einer der Piraten wandte sich um, als hätte er uns bemerkt, worauf Dad mich am Arm packte und nach unten zog. So hockten wir schwer atmend unter dem Bullauge und warteten darauf, dass die Musik abbrach und sich Schritte näherten. Die Piraten hatten getrunken, vielleicht verloren sie in einer solchen Situation die Beherrschung. Ob sie dann sogar zum Töten bereit waren? Das fragten wir uns alle.
Doch die Musik hörte nicht auf, sondern wurde sogar noch lauter und rauer und stieg in die Nacht empor.
Wenn jetzt die Nördliche Küstenwache auftaucht, könnte sie unsere Piraten im Handumdrehen überwältigen und die Jacht übernehmen, dachte ich. Irgendwie sehnte ich einen solchen Zwischenfall sogar herbei.
Tony zählte irgendetwas mit den Fingern ab und bewegte die Hände, als müsse er sich einprägen, wo sich verschiedene Gegenstände befanden.
»Vor der Tür liegt eine AK «, sagte er. »Wenn wi r …«
»Nein«, flüsterte Dad zurück.
»Sie sind betrunken«, drängte Tony. Mir wurde klar, dass er vor allem aus dem Kino geschlichen war, um sich in dieser Hinsicht zu vergewissern. Die Piraten rechneten mit keinem Angriff.
»Ich habe Nein gesagt«, beharrte Dad. »Sind Sie verrück t ? Der Kerl trägt immer noch die Pistole an der Hüfte. Auch die anderen sind im Handumdrehen bei ihren Waffen.«
»Wir könnten sie ausschalten«, behauptete Tony mürrisch.
»Das könnten wir«, bestätigte Dad. »Aber dabei würden wir garantiert sterben.«
»Amy kann ins Kino zurückkehren, und dan n …«
»Nein«, sagte Dad in normaler Lautstärke. Ich zuckte zusammen, weil die Piraten ihn sicher gehört hatten. Mit dieser befehlsgewohnten Stimme hatte er früher auf dem BlackBerry lästige Anrufer abgefertigt. Das war der Trick der charmanten Führungspersönlichkeit. Wenn er wollte, konnte er jederzeit seine Macht demonstrieren, sich gebieterisch durchsetzen und die anderen einschüchtern.
Es funktionierte auch dieses Mal. Tony hob beschwichtigend die Hände.
»War ja nur ein Vorschlag«, murmelte er.
Ich war erleichtert, aber auch ein wenig enttäuscht. In mir steckte noch ein anderes Ich, das gern bei einem Angriff zugesehen hätte. Das Blatt hätte sich gewendet, die Waffen hätten auf die Piraten gezielt. Ich hätte Tony unterstützt, wollte aber natürlich nicht, dass mein Dad verletzt wurde. Sosehr er mich auch nervte – er war immer noch mein Dad.
Hätten Tony und ich es allein geschaff t ? Hätten wir das AK erreichen können? Vielleicht. Aber dazu sollte es nicht kommen. Mein Dad hatte Tony gegenüber seine Macht ausgespielt, als jener vorschlug, er und Dad könnten die Piraten überwältigen. Ich wollte nicht wissen, wie er in Fahrt geriete, sobald ich mich selbst ins Spiel brachte.
»Eine Schande«, bemerkte Tony, als wir ins Kino zurückkehrten. »Eine so gute Gelegenheit bekommen wir nie wieder.«
»Manchmal ist das Beste noch nicht gut genug«, erwiderte Dad.
Damit hatte er natürlich völlig recht.
29 Am nächsten Morgen ging ich in meine Kabine, um mir eine DVD anzusehen, konnte mich aber nicht konzentrieren. Ich blickte immer wieder zu der Geige hinüber, die da im Schrank lag, und erinnerte mich an Farouz’ Worte. Auf einmal wollte ich ihm oder der Geige wehtun, je nachdem, wer oder was gerade greifbar war.
Ich nahm das
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