Nummer Drei: Thriller (German Edition)
wartete auf den Schlaf. Dad und die Stiefmutter tuschelten im Dunkeln. Widerlich. Tony murmelte mit sich selbst.
Auf einmal hörte ich einen Rhythmus. Musik.
Ich richtete mich auf und erkannte im Zwielicht, dass Tony meinem Beispiel folgte.
»Was ist das?«, fragte Dad.
»Musik.« Tony hatte wirklich eine Begabung, das Offensichtliche auszusprechen.
»Da macht jemand Musik«, ergänzte ich.
Es war leicht zu erkennen, denn es klingt anders und viel voller, wenn jemand ein echtes Instrument spielt.
»Sehen wir doch nach!«, schlug Tony vor.
Eins musste ich ihm lassen, er hatte Mut. Die Tatsache, dass er angeschossen worden war, konnte ihn nicht aufhalten. Er war wie ein Spielzeughase mit voller Batterie. Er hatte keine Probleme damit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und die Piraten böse anzustarren oder mitten in der Nacht seltsamen Geräuschen auf den Grund zu gehen.
»Ich bleibe hier«, erklärte die Stiefmutter.
»Aber natürlich«, erwiderte Tony.
Was wollte er damit sagen? Hielt er sie im Kino für sicherer aufgehoben, oder war seine Bemerkung ein Seitenhieb, weil er sie für feige hiel t ? Ich tippte auf Letzteres, aber sein Tonfall war zweideutig gewesen, sodass mein Dad ihn nicht zur Rede stellen konnte. Ich mochte Tony auf der Stelle besser leiden.
»Ich komme mit«, entschied ich. Einerseits hatte ich eine Ahnung, was dort draußen zu hören war, andererseits fühlte ich einen Knoten in der Magengrube.
Tony öffnete die Tür, und Dad und ich folgten ihm, nachdem er sich im Korridor umgesehen und festgestellt hatte, dass keine Wächter in der Nähe waren. Damian wäre sicher auch mitgekommen, aber er schlief und schnarchte laut.
Die Musik kam aus dem hinteren Teil der Jacht. Nennt man ihn nicht das Heck? Jedenfalls wandten wir uns in diese Richtung und schlichen weiter. Das war vermutlich gar nicht nötig, weil die Piraten uns sowieso nicht hörten. Im Esszimmer hielten wir inne und blickten durch ein Bullauge zum hinteren Deck hinaus, wo das Licht eingeschaltet war. Ich musste an etwas völlig Unpassendes denken: englische Wichtigtuer, die durch die Gardine spähen und alles überwachen, was in der Nachbarschaft vor sich geht.
Draußen war eine Party im Gang. Flaschen aus der Bar – einige aus durchsichtigem, andere aus dunklem Glas – lagen auf dem Boden.
»Ich dachte, Moslems trinken keinen Alkohol«, meinte Dad.
»Jede Wette, dass sie auch keinen Khat kauen dürfen«, ergänzte Tony.
Ich achtete kaum auf die beiden, sondern beobachtete Farouz.
Er saß auf einer umgedrehten Kiste und spielte auf der Oud. Er hielt das Instrument, als wäre es etwas Lebendiges, ein kleines Kind oder eine Geliebte. Wie er es beschrieben hatte, ähnelte es einem Banjo oder einer Gitarre, aber mit dickerem Bauch und schmalem Hals. Er bewegte die Hände sehr schnell und leicht. Aber nicht behutsam, sondern ehe r … instinktiv. Als könne er auf gar keinen Fall eine falsche Saite anschlagen, weil die Oud ein Teil von ihm war.
Er spielt gut, dachte ich. Der dumme Gedanke durchdrang meinen Zorn, die Eifersucht und den Schmerz.
Die meisten anderen Piraten trommelten, klatschten in die Hände oder benutzten was immer sich in Reichweite befand – Kaffeedosen, das Deck, die Knie. Ahmed sang. Klar und geschmeidig perlte seine Stimme über die Musik wie das Wasser im Bachbett. So wie ich ihn kannte, hätte ich ihm solche Töne nie zugetraut. Es war, als käme aus dem Kaugummiautomaten ein Tiffany-Ring.
Dad und Tony flüsterten miteinander, während ich zusah und Musik hörte. Es war erstaunlich. Diese Musik klang ganz anders als die westliche – pentatonisch, in einer Molltonart, dahinter ein komplizierter Rhythmus. Sie erinnerte mich an den Blues, und dann schalt ich mich eine Närrin, weil der Blues sich natürlich aus Musik wie dieser entwickelt hatte. Sklaven aus Afrika hatten die Rhythmen leise bei der Arbeit in Amerika gesummt und hundert Jahre später laut gesungen. Einen Wechsel zwischen Strophen und Refrain schien es nicht zu geben. Es war eher eine freie Improvisation über vorgegebene Tonfolgen, und ich dachte wiederum an den Jazz.
Die ganze Zeit über bewegte Farouz die Finger schnell über das Instrument, als wären sie die beweglichen Teile einer programmierten Maschine. Es klingt vielleicht seltsam, aber dieser Anblick tat mir wirklich weh.
Ich hatte angenomme n … ich weiß auch nicht. Ich hatte angenommen, dass Farouz mich irgendwie brauchte. Als sei er mir ein wenig ähnlich und
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