Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
Vom Netzwerk:
Nachricht zukommen lassen, dass ich krank sei und geschlafen habe.
    Don Giovanni ging zu Ende. Darauf folgte eine deprimierende Debatte über Pflegefälle auf Radio Four. Ich stellte das Radio ab. Plötzlich bemerkte ich, dass Seb mich musterte.
    »Was ist?« Es war mir unangenehm, so genau angesehen zu werden.
    »Nichts.« Er steckte sein Buch in die Tasche. »Es ist nur, du hast mir gar nicht erzählt, was mit deiner Mutter geschehen ist, als du das vor deiner Abfahrt angedeutet hast.« Er hatte eine sehr höfliche Art, sich auszudrücken. »Du hast mir nicht erklärt, was du eigentlich genau gemeint hast.«
    »War dies das Stichwort?«, fragte ich und überholte einen rostigen Käfer.
    »Was?« Er sah mich stirnrunzelnd an.
    Ich deutete mit dem Kopf auf das Radio. »Die Debatte über die Pflegefälle.«
    »So habe ich es nicht gemeint, Liebes. Entschuldige. Es war vielleicht ein wenig taktlos. Es ist nur … dabei ist mir nur alles wieder eingefallen.«
    Eine Pause. »Stört es dich, wenn ich rauche?«, murmelte ich.
    »Nein, natürlich nicht.« Elegant wie Cary Grant zündete Seb mir eine Zigarette an. Ich inhalierte tief und öffnete das Fenster einen Spalt. Schlagartig füllte sich der Innenraum mit dem Rauschen des Windes.
    »Was möchtest du denn wissen?«, fragte ich ruhig.
    Er beugte sich zu mir, um mich besser zu verstehen. »Was immer du mir erzählen möchtest.« Er hob seine Stimme, um das Geräusch der hereinpfeifenden Luft zu übertönen.
    »Das ist nicht gerade viel.«
    »Aber du … du sagtest doch, sie sei verrückt geworden.«
    »Sie war schwer depressiv. Nicht verrückt. Heute heißt das, glaube ich, bipolare Störung. Ist gerade ziemlich in.«
    »Du meinst, sie war manisch-depressiv?«
    »Vermutlich. Damals allerdings haben die Ärzte es einfach nicht in den Griff bekommen. Sie hatte die falsche Diagnose.«
    »Und was geschah mit ihr?«
    »Sie wurde in eine Nervenklinik eingewiesen, wo sie aufgrund ihrer falschen Diagnose die falschen Medikamente bekam. Sie vertrug sie schlecht. Dann wurde alles noch schlimmer. Sie war wie eine Art Zombie.«
    Ich spürte, wie er versuchte, die richtigen Worte zu finden. Er wollte mich trösten, wusste aber nicht, wie. Schlagartig zog ich mich in mich selbst zurück. »Es tut mir leid, Maggie. Wirklich«, sagte er schließlich.
    »Danke. Mir auch.« Ich warf die noch brennende Zigarette aus dem Fenster. Die glühende Kippe tanzte einen Augenblick vor dem Seitenfenster, dann fegte der Wind sie fort. »Am Ende wurde sie …« Das Wort wollte mir immer noch nicht über die Lippen. »Suizidal.«
    Mein Telefon klingelte. Rettung in letzter Sekunde: Dieses Mal nahm ich das Gespräch an und klemmte mir den Apparat zwischen Ohr und Schulter. Es war Sally. »Wo bist du? Charlie dreht durch.«
    »Ich bin krank.« Ich warf Seb einen Blick zu. Er zog amüsiert eine Augenbraue hoch. »Sag ihm, ich bin morgen wieder da, in Ordnung?«
    »Du weißt, dass die Abschieds-Show am Mittwoch läuft?«
    »Ja, Sal. Ich kümmere mich um die verdammte Show als Allererstes. Ich bin morgen ganz früh da. Heute geht es mir nicht gut.«
    Seb erwähnte meine Mutter nicht mehr. Als wir aber am Unfallort vorbeikamen, wo jemand eine Gedenktafel aufgestellt hatte, vor der zahlreiche Blumensträuße und Fotos lagen, legte er mir die Hand auf den Oberschenkel.
     
    Ich hatte meine Mutter zum letzten Mal gesehen, als ich dreizehn war. Die Hormone der Teenagerjahre sowie die furchtbaren Umstände sorgten dafür, dass ich nicht gerade ein nettes Kind war. In Wirklichkeit aber war ich einfach nur einsam und kam mir ziemlich verloren vor. Ich sehnte mich nach der Liebe meiner Mutter und war doch nicht fähig, ebendies zu zeigen.
    Gegen Ende des Schuljahres holte mein Vater mich eines Tages von der Schule ab. Es war erdrückend schwül an diesem Tag, und ich war schon sauer, bevor ich noch ins Auto gestiegen war. Schließlich versäumte ich mein Lauftraining und Madonna in der Hitparade. Als ich in den Granada kletterte, begann Alison Jackson mit blau gefärbten Lippen »Daddys Girl« zu trällern. Sie stand mit ihren miniberockten Klonfreundinnen am Geländer und nuckelte an ihrem Slush-Puppy-Drink. Ich errötete vor Scham. Als mein Vater nicht hinsah, zeigte ich ihr den Mittelfinger, selbst erstaunt über den Mumm, den ich plötzlich an den Tag legte. Alison antwortete mit einer großen Blase ihres pinkfarbenen Kaugummis. Ich starrte vor mich hin. Morgen würde ich mich rächen.
    Wir fuhren schweigend

Weitere Kostenlose Bücher