Nur 15 Sekunden
zu früh, das auszusprechen, doch so war es nun: Wir hatten es ausgesprochen. Nichts davon war noch mit Vernunft zu fassen. Und genau so war auchmein Leben mit Hugo gewesen, unser Umzug auf die abgelegene Insel, unsere Faszination für Themen, die damals noch als schrullig galten, mit denen wir aber schließlich doch etwas bewegt hatten. Irgendwann hatte die Zeit die Logik hinter unseren Handlungen freigelegt. So war das mit neuen Ideen. So war das mit der Liebe.
Das Essen schmeckte köstlich, obwohl ich zugeben muss, dass mir in meiner Verfassung vermutlich alles geschmeckt hätte. Ich konnte Courtneys süffisanten Kommentar förmlich hören: «Jetzt kann er also auch noch kochen!» Courtney. Ich hatte das ganze Wochenende nichts von ihr gehört, trotz einer Mail und zweier Nachrichten, die ich ihr auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte.
Um halb neun brachte Rich mich nach Hause. Engumschlungen spazierten wir durch das vornehme Viertel Cobble Hill und genossen die würdevolle Stille. Wir überquerten die Court Street, wo selbst am Sonntagabend noch reger Verkehr herrschte, und bogen dann rechts in die Smith Street ein. Die Restaurants mit ihren anspruchsvollen Gästen, die von überall her kamen, um sich die Kreationen der Jungen Wilden unter den besten Köchen der Stadt schmecken zu lassen, sorgten hier für den üblichen Trubel. An diesem Abend strahlte die Vielfalt unseres Stadtteils einen ganz besonderen Zauber aus. Ich hätte niemals geglaubt, dass ein Leben sich innerhalb von anderthalb Jahren so grundlegend verändern könnte. Hier ging ich in der warmen Umarmung eines Mannes, von dessen Existenz ich bis vor kurzem noch nichts geahnt hatte. Ja, man konnte auch zwei Männer lieben.
Als wir vor meiner Tür standen, war es bereits so dunkel, dass ich das Schlüsselloch des Gartentors mit den Fingern ertasten musste. Die Scharniere quietschten wie immer.
«Die muss ich dir mal ölen», sagte Rich. Auch dafür liebte ich ihn.
Wir küssten uns zum Abschied. Ich schloss die Haustür mit dem zweiten Schlüssel auf und öffnete sie.
Sofort stieg mir ein widerlicher Gestank in die Nase – irgendein scheußlicher Geruch, den ich nicht näher benennen konnte. Und dann sah ich Mitzi und Ahab …
DRITTER TEIL
KAPITEL 10
Ahab hatte es noch halb die Treppe hinauf geschafft, doch Mitzi war nicht mehr so weit gekommen. Sie hatte sich vor der untersten Stufe auf dem Boden zusammengerollt, als wollte sie ein Schläfchen machen. Ihr weißes Fell war um die Schnauze und um das Hinterteil herum blutverschmiert. Auch Ahabs Fell war vorne und hinten feucht, auch wenn man das Blut auf seinem braunroten Fell nicht auf den ersten Blick sah.
«Was ist denn bloß passiert?» Ich hockte mich neben Mitzi und hob sie hoch. Sie war schwer, ein wenig steif. «Sie sind tot.»
Rich stand in dem runden Durchgang, der ins Wohnzimmer führte, und schien drinnen etwas entdeckt zu haben. «Was ist das hier?»
Ich folgte ihm zum Kamin, wo sich etwas Weißes, Dickliches über den Boden ergossen hatte und bereits tief ins Gewebe des Perserteppichs, eines Erbstücks aus Hugos Familie, gesickert war. Es sah aus wie Hühnerragout in einer Béchamelsauce, nicht glatt und cremig, sondern wie von einer körnigen Substanz durchsetzt. Daneben lag ein Kunststoffbehälter.
Rich wies mit der Hand auf den Kaminsims.
Und ich konnte es schier nicht fassen: Das Foto von Joe steckte wieder in seinem Rahmen. Das war doch nicht möglich. Ich hatte es zerrissen und weggeworfen – die Müllabfuhrmusste es längst den stinkenden Ausdünstungen irgendeiner Müllkippe überantwortet haben.
Rich nahm den Briefumschlag, der an dem gerahmten Foto lehnte. «Der ist wohl für dich», sagte er. «Wie ist die Nummer deines Detective? Ich rufe ihn gleich an.»
«Seine Karte hängt am Kühlschrank.»
Rich ging in die Küche, und ich las Joes Brief.
Liebe Darcy,
den ganzen Tag habe ich gestern mit Einkaufen und Kochen zugebracht, für dich und deinen Sohn. Ihr solltet um sechs zum Essen kommen, weißt du noch? Aber du hast es einfach vergessen. Vielleicht hast du auch drangedacht … jedenfalls seid ihr nicht gekommen. Ich weiß gar nicht, was ich schlimmer finde. Vielleicht hattest du ja meine neue Adresse vergessen. Siehst du? Ich denke immer noch nur das Beste von dir. Aber du bist nicht ans Telefon gegangen, und du hast auf keine meiner Nachrichten reagiert. Manchmal habe ich das Gefühl, du willst so tun, als gäbe es mich gar nicht.
Trotzdem
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