Nur 15 Sekunden
daran, dass es für Sie bestimmt war, Darcy. Aber der Brief … da steht nichts davon drin. Er schreibt nicht einmal, dass er es zubereitet, geschweige denn, dass er es mit Gift versetzt hätte.»
«Das muss auch gar nicht drinstehen», sagte Rich. «Es liegt doch auf der Hand, dass er es war.»
«Stimmt», sagte Jess. «Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber ich betrachte das auch aus der Perspektive des Staatsanwalts, der immerhin einen Strafprozess daraus basteln muss. Sharon von der Spurensicherung hat nichts gefunden, keine Fingerabdrücke, keine Fasern oder Haare im Ragout oder im unmittelbaren Umkreis, bis auf die Katzenhaare. Es ist, als wäre er nie hier gewesen.»
«Aber er war hier», sagte ich. «Wer sonst hätte das Bild wieder in den Rahmen stecken sollen?»
Jess musterte den Rahmen zum ersten Mal genauer. «Schönes Stück.»
«Das ist der Rahmen, den er mir ursprünglich geschenkt hat. Ich hatte sein Foto in tausend Schnipsel zerrissen und es dann weggeworfen. Das hier muss ein neuer Abzug sein.»
Jess legte den Rahmen umgedreht auf den Couchtisch, entfernte die Halterung und nahm die Rückseite ab. Das Schulfoto von Ben steckte noch hinter dem neuen Foto von Joe. Jess nahm Bens Bild und drehte es um.
Es war zerschnitten, voller Risse und Löcher. Was hatte es zu bedeuten, dass Joe so aggressiv auf das Foto meines Sohnes reagierte? Man musste sich nur ansehen, was er unseren Katzen angetan hatte. Hieß das, er würde vielleicht auch …? Nein, das durfte ich nicht einmal denken. Ich schaffte es, den Gedanken zu verbannen, doch nicht die Kälte, die meinen ganzen Körper erfasste. Das geschändete Foto meines Sohnes brachte mich um die Fassung. Ich schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
«Ich denke, er hat einen Schlüssel verwendet», hörte ich Jess zu Rich sagen. «Sehen Sie, wie grob und rissig die Schnitte sind? Wahrscheinlich hat er sich irgendwo einen Nachschlüssel zu Darcys Haus verschafft, mit dem er auch hereingekommen ist. Dann hat er das Bild damit zerstört und sein eigenes darübergelegt. Psychopathen machen so was gern. Sie lieben Symbolik, ob man’s glaubt oder nicht.»
«Das ist aber keine sehr subtile Symbolik», bemerkte Rich.
«Stimmt, ein Poet ist er nicht gerade.»
«Woher kann er Darcys Schlüssel gehabt haben?»
«Er hat ja auch ihr Notebook. Vielleicht hat sie ihre Handtasche mal unbeobachtet im Büro stehen lassen.»
Ich richtete mich wieder auf und wischte mir mit den Handflächen die Tränen vom Gesicht. «Natürlich habe ich sie unbeobachtet stehen lassen. Ich trage im Büro doch nicht die ganze Zeit meine Tasche mit mir herum. Meistens liegt sie in einer Schreibtischschublade.»
«Ist die verschlossen?»
Ich schüttelte den Kopf.
Jess half mir, die Formulare auszufüllen, während der inzwischen eingetroffene Schlüsseldienst die Schlösser an Eingangs- und Hintertür austauschte. Dann wartete er noch mit uns, bis Sharon von der Spurensicherung die kleinen totenKörper von Mitzi und Ahab verpackt und mit Etiketten versehen hatte, damit sie obduziert werden konnten. Sie mussten die genaue Todesursache feststellen. Offensichtlich reichten logische Schlussfolgerungen in unserer überkorrekten Welt nicht aus, in der es ja auch zweifelhaft blieb, ob gefährliche Psychopathen, die in einem Anfall von Hassliebe Haustiere töteten, tatsächlich ins Gefängnis gehörten. Dann fuhr Jess uns zu Rich, wo ich die Nacht über bleiben sollte. Ich rief Karen und Bill an, um ihnen zu sagen, dass ich bei Freunden in der Nähe übernachten würde, und bat sie, Ben nicht zu sagen, dass ich nicht zu Hause war. Er kannte meine neue Handynummer bereits auswendig, mein Akku war aufgeladen, er konnte mich also jederzeit erreichen. Bevor ich mich verabschiedete, wies ich sie noch so sanft wie möglich darauf hin, nicht einfach die Tür zu öffnen, falls es bei ihnen klingeln sollte.
«Keine Sorge», sagte Bill. «Das hatten wir uns schon gedacht.»
Ben rief mich um sieben Uhr morgens an, nachdem ich eine unruhige Nacht in Richs Bett verbracht hatte. Wir hatten nicht noch einmal miteinander geschlafen, weil das so gar nicht unserer Stimmung entsprochen hätte, doch wir hatten uns gegenseitig getröstet. Während ich mit Ben telefonierte, ging Rich unter die Dusche, um sich fertig zu machen und rechtzeitig zur Schule zu kommen.
«Wie war’s im Kino?»
«Super!»
«Und was habt ihr zu Abend gegessen?»
«Spaghetti Bolognese. Warum hast du eigentlich
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