Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
Vom Netzwerk:
Seele, der Seele einer Mutter, die all die unterschiedlichen Facetten unser beider Leben in sich barg. Der kurze Ausdruck des Leids auf dem Gesicht meines Sohnes öffnete die Tür zum dunkelsten Verlies meines Herzens. Er litt, und ich litt mit ihm. Er wollte tapfer sein, gab sich Mühe, unerschütterlich zu bleiben. Und so weinte ich für ihn. Mit zitternder Stimme versuchte ich, ihm alles zu erklären.
    «Es ist gestern Abend passiert. Deshalb wollte ich auch, dass du bei Henry bleibst. Ich wollte nicht, dass du sie so siehst. Es war   …» Schon wünschte ich, ich hätte gar nicht erst angefangen, ihm zu beschreiben, wie es war.
    «Wo ist mein Schulfoto hin, Mom?»
    «Wie bitte?»
    «Es ist nicht da. Auf dem Teppich ist ein Riesenfleck. Und irgendwie riecht’s hier ganz komisch.»
    «Ben   …»
    «Schon kapiert, Mom. Dieser beschissene Joe Coffin. Ich hab’s kapiert!»
    Mir schossen tausend verschiedene Erklärungen durch den Kopf, doch keine war gut genug für Ben. Also sagte ich einfach: «Ja.»
    «Wie hat er’s gemacht? Ich meine, er hat sie doch umgebracht, oder?»
    Ich nickte, und er hob mir sein Gesicht entgegen, dieses wunderschöne, zarte Gesicht zwischen Kind und Mann, das ich so liebte. Das Gesicht des Menschen, der jede Faser meines Seins durchdrang. Und doch schien es plötzlich auf der Kippe zu stehen, ob auch er mich weiterlieben oder mich vehement ablehnen würde. Er war in dem Alter, ich hatte immer damit gerechnet, dass er irgendwann rebellieren würde, wie jeder andere Jugendliche auch. Aber doch nicht jetzt.
    «Gift. Er hat ihnen etwas Giftiges zu fressen gegeben.»
    «Was für ein Gift?»
    «Das haben sie mir noch nicht gesagt.»
    «Sie? Du meinst, die Bullen waren gestern hier und so?»
    «Ja. Sie haben die Katzen mit ins Labor genommen, um genau zu bestimmen, was es war.»
    Ben lief rot an und sprang in plötzlichem Zorn auf, als ihm klarwurde, dass seine Katzen tatsächlich tot waren. Er fing an, hektisch auf und ab zu laufen, immer hin und her, genau wie Hugo, wenn er nervös war. Hugo ging auch beim Telefonieren auf und ab, eine Angewohnheit, die mich immer genervt hatte, mir aber nie wichtig genug erschienen war, um mich darüber zu beschweren. Inzwischen war ich froh, dass ich das auch nie getan hatte. Jetzt, als Ben mit den gleichen wilden, langen Schritten, den gleichen nervösen Kehrtwendungen von Wand zu Wand wanderte, blieb ich einfach sitzen und wartete. Nach ein paar Minuten blieb er vor mir stehen und sah mich an.
    «Wir müssen sie begraben, Mom.» Ich hörte die Tränen schon in seiner Stimme, bevor sie seine Augen erreichten.
    «Ja, das machen wir auch. Aber das muss noch ein bisschen warten.»
    Da warf er sich mir schluchzend in die Arme, und ichdrückte ihn an mich. Er weinte lange, so viel zurückgehaltenes Leid brach sich dabei Bahn, wie losgetreten von diesem neuen Verlust. Ich wusste, dass der Junge, der sich da zitternd an mich drückte, auch nachts im Bett manchmal alleine weinte. Ich hatte ihn gehört. Es hätte mir viel mehr Sorgen gemacht, wenn er nicht geweint hätte. Ich wusste, wie wichtig das war, denn ich war selbst einmal so ein Kind gewesen, allein des Nachts in einem Bett, dessen Wärme kalt geworden schien. Auch meine festen Gewissheiten waren erschüttert worden, auch ich hatte mich im freien Fall in einem Zimmer befunden, dessen nächtliche Schatten nicht mehr beruhigend, sondern bedrohlich wirkten, wie unheilvolle Vorboten neuer schrecklicher Verluste. Ein Kind muss um einen geliebten Menschen trauern, den es verloren hat, es muss diesen unerträglichen Schmerz durchleben, bis er nach und nach erträglicher wird. Und so waren Bens Tränen mir so willkommen, wie mir der Grund für seinen Schmerz verhasst war. Ich hielt ihn fest. Und als er schließlich lang und tief aufseufzte, sagte ich: «Wir könnten von hier fortgehen.»
    Er nickte. «Können wir wieder zurück nach Hause?»
    «Das ist wahrscheinlich keine gute Lösung. Joe kommt doch auch von dort.»
    Bens Gesicht verzerrte sich wieder, und ich versuchte, ihn zu beruhigen, indem ich ihm mit dem Finger über die Stirn strich, wie früher, als er noch klein war.
    «Wohin denn dann?», fragte er.
    «Möglichst weit weg, aber natürlich irgendwohin, wo du weiter zur Schule gehen kannst.»
    «Dann muss es wohl Amerika sein?»
    «Nein. Amerikanische Schulen gibt es überall. Wir waren noch nie in Paris.»
    «Wie wär’s mit England?» Seine Lieblingsband kam vondort, und für einen

Weitere Kostenlose Bücher