Nur 15 Sekunden
schwarze Pistole.
«Lassen Sie sie drin. Sie können sie rausnehmen, wenn wir da sind. Ich habe schon angerufen und Sie angemeldet. Eins müssen Sie allerdings noch wissen: Für heute sind Sie ich, verstanden? Sehen Sie den Umschlag da?»
Er war weiß, unbeschriftet und lag unter der Pistole in der Handtasche.
«Das ist mein Waffenschein. Den müssen Sie vorzeigen, und dazu meinen Pass oder ein anderes Dokument, sonst lassen die Sie nur mit einem Gewehr schießen. Aber glauben Sie mir, Sie wollen kein Gewehr. Sie wollen dieses kleine Schmuckstück hier.»
«Haben Sie sie je benutzt?»
«Sicher, ich habe Jess ein paarmal damit bedroht!» Angela zwinkerte mir zu und sah mich unter dichten schwarzen Wimpern schelmisch an. «Nein, im Ernst, es war bishernicht nötig. Aber es ist ein gutes Gefühl, für den Notfall gerüstet zu sein.»
«Aber Angela, wir sehen uns doch gar nicht ähnlich. Kein Mensch wird mir glauben, dass ich Sie bin.»
«Schauen Sie mal in meine Brieftasche. Der Führerschein. Sehen Sie? Früher habe ich mir die Haare glätten lassen und sie braun gefärbt. Dabei steht mir das hier doch viel besser, nicht?» Sie schüttelte ihre schwarzen Locken, dass sie ihr nur so um die Schultern flogen.
«Stimmt. Damit sehen Sie viel jünger aus.»
«Danke! Also. Nehmen Sie sich den Führerschein. Wenn wir da sind, stelle ich den Wagen ab und komme erst wieder, wenn Sie fertig sind.»
«Wie lang dauert der Kurs denn?»
«Drei Stunden.»
«Und Sie wollen die ganze Zeit hier in der Stadt auf mich warten? Angela …»
«Keine Angst, ich habe Pläne. Meine Schwiegermutter passt bis heute Abend auf die Kinder auf, und ich gönne mir einen freien Tag in der Stadt. Ganz allein.»
Natürlich: Sie hatte ja fünf Kinder. Für eine Mutter von kleinen Kindern war es wie Urlaub, ein paar Stunden allein durch Manhattan zu schlendern.
«Wenn Sie wollen, können wir später noch Mittagessen gehen.»
«Ich dachte, das darf ich alles nicht.»
«Sie können ja wieder zurück in Ihren Kerker, wenn ich mit Ihnen fertig bin. Und bis dahin … vertrauen Sie mir, ich weiß, wie man mit dem Ding da umgeht, und Sie wissen es auch bald. Zumindest gut genug, um sich im Notfall verteidigen zu können. Erzählen Sie das aber bloß nicht meinem Mann.»
«Auf keinen Fall.»
Sie setzte mich an der 20th Street zwischen der Fifth und der Sixth Avenue ab, direkt vor einem schmalen, elfstöckigen Kalksteingebäude. Die Fassade war mit eleganten Ornamenten verziert, wie man sie häufig an den alten Häusern der Stadt sieht.
«Ich sammle Sie um eins wieder ein, okay? Warten Sie in der Eingangshalle, bis Sie mich sehen. Es gibt einen Portier.»
Und so war ich plötzlich stolze Besitzerin eines geliehenen Waffenscheins, einer falschen Identität und einer Waffe. Angela besaß die Zuversicht eines kampferprobten Recken. Aber was, wenn man mich wegen Betrugs verhaftete?
Nichts dergleichen geschah. Als ich aus dem Aufzug auf den Schießplatz im Untergeschoss trat – ein schroffer, unfreundlicher Ort, der ja auch ebensolche Ziele verfolgte –, warf man nur einen flüchtigen Blick auf meinen beziehungsweise Angelas Waffen- und Führerschein. Ich steckte beides wieder ein, schob den fremden Führerschein demonstrativ in meine Brieftasche und machte mich auf den Weg zum Schießstand.
Die Türen, die von dem hellerleuchteten Flur abgingen, waren mit den Buchstaben A bis F versehen: sechs Schießstände für jeweils zehn Schützen. Im Schießstand D fand an diesem Vormittag der Anfängerkurs statt, an dem außer mir noch vier weitere Frauen unterschiedlichen Alters und ethnischer Herkunft sowie zwei jüngere Männer teilnahmen, die sich offensichtlich kannten.
Der Kursleiter hieß Gary und stellte sich uns als zertifizierter Ausbilder der National Rifle Association vor. So sah er auch aus: Er hatte einen Bierbauch und ein fleischiges, rotes Gesicht. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass es solche Männer in Manhattan überhaupt gab. Er erklärte uns den Aufbau einer Pistole: wo sich das Magazin befand, wie die Sicherung funktionierte und sämtliche anderen Einzelheitender Waffen, die wir alle zittrig in den Händen hielten. Dann deutete er zur Wand, wo ein Plakat die drei wichtigsten Regeln für den Umgang mit Schusswaffen verkündete – unser neues Credo, wie Gary sagte.
REGELN ZUR WAFFENSICHERHEIT
Richten Sie die Waffe IMMER auf ein klares Ziel.
Fassen Sie NIE an den Abzug, wenn Sie nicht schießen wollen.
Lassen Sie die Waffe
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