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Die Regeln waren in einer Schreibschrift gedruckt, die noch aus den 50er Jahren zu stammen schien, und das Plakat selbst war vergilbt und rollte sich an den Ecken. Vermutlich hing es auch schon seit damals dort.
Gary reichte jedem Teilnehmer eine Schutzbrille und einen Hörschutz, der aussah wie ein übergroßer Kopfhörer. Anschließend bekamen wir jeder eine Schießkabine zugewiesen und ein eigenes Ziel in gut sieben Metern Entfernung. Ich hatte mich vorher gefragt, ob wir wohl auf eine menschliche Silhouette schießen würden, wie im Film, denn vermutlich war ja keiner von uns hier, um am nächsten Wochenende in den Wäldern von Maine auf die Jagd zu gehen. Doch ein vorausschauender Mensch hatte offenbar entschieden, uns neurotische Stadtmenschen mit einem ganz neutralen Ziel zu konfrontieren: einer Scheibe, die in Ringe in verschiedenen Graustufen unterteilt war und die klassische, schwarze Mitte besaß. Ein Ziel, das der Phantasie nicht allzu viel Spielraum ließ. Genau das war wohl auch der Sinn dahinter.
Als die rote Lampe über den aufgereihten Zielscheiben aufleuchtete, fingen wir alle an zu schießen. Unter dendämpfenden Kopfhörern waren die Schüsse kaum mehr als ein leises «Plopp». Jedes Mal, wenn ich abdrückte, zuckte mein Arm unwillkürlich nach hinten, und ich spürte den Rückstoß im ganzen Körper. Schon bald schmerzte der ganze rechte Arm. Doch am Ende der drei Stunden hatte ich mich nicht nur an den Geruch von verbranntem Metall gewöhnt, sondern traf auch oft genug so nah ans Schwarze, um mir sicher zu sein, dass ich die Waffe im Notfall tatsächlich einsetzen konnte. Meine Schießkünste waren noch nicht sehr ausgefeilt, doch ich hatte in den Grundzügen begriffen, wie man eine Schusswaffe bediente.
Angela wartete schon in ihrem roten Minivan, als ich kurz nach eins aus dem Gebäude kam. Beschwingt kletterte ich auf den Beifahrersitz.
«Das war toll!»
«Hab ich’s nicht gesagt? Wenn man den Dreh erst mal raus hat, ist es gar nicht mehr so schwierig.»
Ich gab ihr den Waffenschein und ihren Führerschein zurück, behielt die Pistole aber in der Handtasche.
«Wollen wir in Brooklyn etwas essen, oder möchten Sie lieber in der Stadt bleiben?»
«Könnten wir vielleicht stattdessen einen kleinen Umweg machen, Angela? Ich möchte mich von meiner Mutter verabschieden. Sie lebt in einem Seniorenheim. Sie hat Alzheimer.»
Angela richtete ihre schwarzen Augen auf mich. «Na klar. Mein Vater … wir haben ihn Stück für Stück an diese Krankheit verloren. Letztes Jahr ist er dann gestorben. Dieser Mist ist das Schlimmste, was.» Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. «Westen oder Osten?»
«Ecke 74th Street und West End Avenue.»
Angela schaffte die Strecke in einer Viertelstunde und schob sich geschickt in eine Parklücke gleich in der Nähe,wo ein anderer Wagen gerade weggefahren war. Ich spürte, dass sie mit nach oben kommen wollte, und beschloss, erst gar nicht zu versuchen, ihr das auszureden. Das hatte sowieso keinen Sinn. Angela kannte weder Ausflüchte noch Selbstzweifel: Wenn sie einen Entschluss gefasst hatte, handelte sie danach. Gerade das gefiel mir ja so an ihr.
Das Mittagessen war schon vorbei, und ich suchte meine Mutter zuerst im Gemeinschaftsraum, wo ich sie an ihrem Lieblingsfenster vermutete. Doch sie war nicht da. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer begegnete uns Nancy, die Heimleiterin, im Flur.
«Darcy! Schön, dass Sie da sind. Ich wollte ohnehin mit Ihnen reden.»
«Hat er etwa …»
«Nein, keine Sorge. Unser Sicherheitsdienst ist sehr gewissenhaft.»
«Geht es meiner Mutter gut?»
«Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?»
«Am Freitag, zu meiner üblichen Besuchszeit. Da war sie sehr verwirrt.»
«Genau darüber wollte ich mit Ihnen reden. In den letzten Wochen war ihr Zustand recht schwankend, wie Sie wissen, aber in den letzten Tagen ist sie uns sehr weit entglitten. Ich möchte einfach, dass Sie vorbereitet sind.»
«Danke, Nancy. Das weiß ich wirklich zu schätzen.»
«Es ist unvermeidlich.»
«Das ist mir klar.»
«Leider begreifen Angehörige oft nicht recht, dass es keine Frage des ‹Ob› ist, sondern nur eine Frage des ‹Wann›.» Bei diesen Worten legte Angela mir die Hand auf die Schulter, und die warme Berührung löste eine unerwartete Empfindung in mir aus: Ich war keineswegs so vorbereitet, wie ich geglaubt hatte. Ganz tief drinnen hatte auch ichgehofft, es würde vielleicht doch
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