Nur 15 Sekunden
Tausende und Abertausende solcher Behälter, und auf jeden einzelnen waren handschriftlich schwarze Ziffern gekritzelt. Das mussten wohl Buchungsnummern sein, wie die, die mir Abe Starkman gegeben hatte. Ich wunderte mich ein wenig, weil Anand so gar nichts dagegen einzuwenden hatte, dass wir für Informationen, die wir mit Sicherheit auch in einer Datenbank gefunden hätten, hierher in sein Lager kamen. Doch je tiefer wir in den riesigen Raum vordrangen und je länger ich ihn mit Courtney plaudern hörte, desto klarer wurde mir, was sie mir im Taxi auf dem Weg hierher hatte sagen wollen. Dieses Lagerhaus war der Inbegriff der Unprofessionalität. Es lag auf der Hand, warum man sich entschlossen hatte, die Knochen hier zu lagern und nicht in einer anderen städtischen Aufbewahrungsstelle: Hier konnte man, wie Courtney es mir erklärt hatte, am einfachsten Beweise verschwinden lassen, die niemand finden sollte.
In der großen Lagerhalle war der Schimmelgeruch so penetrant, dass ich glaubte, er dringe mir in alle Poren. DieLuft war ganz erfüllt davon. Die Wände waren aus unverputztem Stein, den Boden bedeckte rissiges Linoleum, das an vielen Stellen Falten warf.
«Dann mal ran an den Speck, Prinzessin. Und falls ihr mich braucht … du weißt ja, wo du mich findest.» Anand deutete auf die Behälter und ging dann in die entgegengesetzte Richtung davon. Am anderen Ende der Lagerhalle sah ich zwei zusammengeschobene Schreibtische, wo noch ein weiterer Polizist saß. Er hatte eine Thermoskanne und eine aufgeschlagene Zeitung vor sich. Auf dem zweiten Schreibtisch stand ein aufgeklappter Laptop, dort würde Anand sich wohl gleich niederlassen.
«Das war jetzt aber viel zu einfach», sagte ich zu Courtney, sobald Anand außer Hörweite war.
Sie grinste mich an. «Verstehst du jetzt, was ich vorhin gemeint habe?»
«O ja. Also, wo fangen wir an?»
«Die Behälter sind chronologisch geordnet, wir sollten also mit den neuesten beginnen.»
Wir gingen an vier leeren Regalreihen vorbei, in denen Stellflächen für Beweismittel noch nicht verübter Verbrechen bereitgehalten wurden, bis wir schließlich am Anfang eines ganzen Meers von Behältern standen. Wir sahen sämtliche Belegnummern aus den letzten paar Wochen durch, doch die 12 – 84 992, die Abe mir gegeben hatte, war nicht darunter.
«Sie ist nicht dabei», flüsterte ich. «Vielleicht existiert sie gar nicht.»
«Wir sind hier im Lager am Pearson Place – da hilft nur Weitersuchen.»
Schließlich entdeckten wir den Behälter in der dritten Reihe des untersten Regalbretts, versteckt hinter einem anderen, der bereits vor über einem Jahr hier eingetroffen war.Abe hatte mir die nicht ganz unwichtige Kleinigkeit verschwiegen, dass der fraglichen Belegnummer ein falsches Datum zugewiesen worden war. Vielleicht hatte er das aber auch nicht gewusst.
«Wir müssen das Ding aufmachen», sagte ich.
«Dann unterhalte ich mich mal ein bisschen mit Anand und seinem Kollegen, und du gehst weiter zwischen den Regalen herum. Tu so, als würdest du dir Notizen machen. Und dann versuchst du irgendwann, den Deckel abzunehmen. Mach aber möglichst wenig Lärm dabei. Hier.» Courtney griff in ihre Handtasche und reichte mir eine kleine Digitalkamera.
«Dürfen wir hier denn Fotos machen?»
Sie legte den Kopf schief und sah mich an, fassungslos über so viel Naivität. «Willkommen in New York City, Darcy. Wenn du Knochen findest, machst du ein paar Fotos. Und zwar schnell. Dann schließt du den Behälter wieder und holst mich ab.»
Damit drehte sie sich um und sagte lauter: «Mach schon mal weiter, Darcy, ich bin gleich wieder da.»
«Okay!» Meine Stimme kam als dreifaches Echo aus der riesigen Halle zurück.
Ich wartete, bis Courtneys Schritte sich entfernt hatten, dann ging ich mit gezücktem Stift und Notizblock langsam weiter an den Regalen entlang, beugte mich manchmal vor, um die weißen Protokollzettel an den einzelnen Behältern zu entziffern, und machte mir eifrig Notizen. Ich war ein wenig besorgt, dass in den Gängen vielleicht Überwachungskameras angebracht sein könnten. Doch als ich nach oben blickte, erstreckte sich etwa fünfzehn Meter über mir die fleckige Decke ohne ein einziges elektronisches Gerät.
Ich kehrte zu dem Regal zurück, in dessen unterstem Fach der Behälter mit der Nummer 12 – 84 992 lag. Vorsichtig, fast lautlos, nahm ich den vorderen Karton heraus und zog dann den anderen so weit nach vorn, dass ich den runden
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