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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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dass er sie bringt.»
    «Mit den Bildern? Klar verkaufen wir ihm das.»
    Courtney beugte sich zum Taxifahrer vor, um ihm das neue Ziel zu nennen: das Cornelia-Spa an der Fifth Avenue. So erfuhr ich, wie sich meine Kollegin für einen mühsam eingehaltenen Abgabetermin wie den heutigen belohnte: mit einer Massage und einem ausgiebigen Pflegeprogramm. Als Courtney schon ausgestiegen war und die Autotür geschlossen hatte, drehte sie sich noch einmal um und sah durch das offene Fenster herein.
    «Komm doch mit. Die können dich sicher dazwischenschieben.»
    «Nein, vielen Dank. Ich glaube, ich fahre lieber zurück ins Büro.»
    Ich verzehrte ein Thunfisch-Sandwich am Schreibtisch in der Redaktion und machte mir währenddessen Notizen auf dem Laptop, überspielte die Fotos von Courtneys Kamera auf meine Festplatte und schickte sie dann per Mail an sie und Elliot, der in einer mittäglichen Besprechung saß. Danach rief ich noch einmal bei Russet Cleanup an. Schließlich durften wir sie nicht vorschnell verurteilen und mussten ihnen wenigstens Gelegenheit geben zu beweisen, dass sie tatsächlich Fässer mit giftigen Chemikalien von dem Grundstück an der Pacific Street erhalten hatten. Diesmal fragte ich nicht nach Lenny, sondern sprach gleich mit Bruce, der den Anruf zufällig entgegengenommen hatte. Ich stelltemich vor und bat ihn um eine Kopie des Lieferscheins, weil ich nun mal ein Zwangscharakter sei und immer alles zehnmal gegenchecken müsse, bevor ich meinem Redakteur auch nur den kleinsten Artikel zu lesen geben könne. Mit der Behauptung, neurotisch zu sein und den strengen Chef zu fürchten, stieß man erfahrungsgemäß bei den allermeisten Leuten auf Verständnis. Ich hatte diese Methode schon oft eingesetzt, um meinen Ansprechpartnern scheinbar unwichtige Informationen zu entlocken. Auch diesmal klappte es wunderbar – bis auf die Tatsache, dass Bruce den Lieferschein nirgends finden konnte. «Das kann schon mal passieren», erklärte er mir. «Unsere Sekretärin ist leider nicht die Ordentlichste.» Ich akzeptierte diese Erklärung ebenso bereitwillig, wie er zuvor meine Neurosen akzeptiert hatte, und wir verabschiedeten uns lachend voneinander. Mein nächster Gedanke war, den Frachtbrief bei der anderen Seite zu suchen, im Lager am Pearson Place. Wenn die Knochen dort in den letzten beiden Tagen abgeliefert worden waren, konnte die Lieferbestätigung, trotz falschen Datums, noch nicht abgelegt sein; und falls alle Beteiligten ihre Arbeit ordentlich gemacht hatten, musste sie sowohl den Ursprungsals auch den Zielort enthalten. Diese Aufgabe würde ich aber lieber Courtney überlassen, da sie ja so gut mit Anand umgehen konnte.
    Danach versuchte ich, noch weiterzurecherchieren, konnte mich aber nicht recht konzentrieren. Ich sah die ganze Zeit die Knochen vor mir. In meinem Kopf verknüpften sie mich mit der Geschichte meiner Eltern, wie Verbindungsstücke aus einem Modellbaukasten. Ich hörte die Stimmen. Und ich wollte, dass sie schwiegen.
    Plötzlich hatte ich Sehnsucht nach meiner Mutter. Doch es war schon nach drei, und ich versuchte, immer gegen halb sechs zu Hause zu sein, damit Ben nicht so lange allein war.Wenn ich jetzt noch zu meiner Mutter fuhr, blieb kaum Zeit, um richtig warm zu werden und ihr die Möglichkeit zu geben, mich überhaupt zu erkennen. Sonst besuchte ich sie immer freitags zum Mittagessen. Und auch diese Woche würde ich mich wohl bis dahin gedulden müssen.
    Doch kurz darauf klingelte mein Handy. Ben wollte wissen, ob er noch mit zu seinem Freund Henry gehen dürfe, zum Hausaufgabenmachen und «Chillen». Es war wie Gedankenübertragung. Ich antwortete, natürlich dürfe er, und ich würde die Gelegenheit nutzen, Grandma zu besuchen. Um spätestens halb sieben wolle ich zurück sein, er solle um dieselbe Zeit nach Hause kommen. Dann schob ich mein Notebook in die Tasche, verließ das Büro und stieg in die U-Bahn Richtung Upper West Side.
     
    Das betreute Wohnheim, in dem meine Mutter seit drei Jahren lebte, war in einem großen Vorkriegsbau an der West End Avenue untergebracht, der früher einmal ein Hotel gewesen war. In der feudalen Eingangshalle mit ihren roten Teppichen, den nachgemachten Antiquitäten und dem Kristalllüster herrschte auch an diesem Nachmittag wieder reges Treiben. Wie üblich sah man das Pflegepersonal und die eleganten älteren New Yorker Herrschaften, die das Gebäude bewohnten. Die Alzheimer-Patienten lebten etwas abseits im siebten Stock, und der

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