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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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durfte nicht denken, dass seinem verbliebenen Elternteil Gefahr drohte.
    Kurz nach Hugos Tod hatte Ben mich gefragt, was eigentlich passieren würde, wenn ich aus irgendeinem Grund auch noch starb. «Dann wäre ich ein Waisenkind», sagte er. «Wo würde ich denn dann wohnen?» Mir waren bei diesem schrecklichen Gedanken die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf geschossen, und mir war klargeworden, was für ihn auf dem Spiel stand, jetzt, da er seinen Vater verloren hatte. Schließlich wussten wir beide, dass meine Mutter sich unmöglich um ein Kind kümmern konnte, und Hugos Eltern waren schon lange tot. Es gab noch einen Onkel in Florida, Hugos Bruder, der abwechselnd von Sozialhilfe lebte und sich als Saisonarbeiter verdingte. Und obwohl er bereits über vierzig war, hatte er bislang weder sich selbst «gefunden» noch eine Partnerin, die es mit einem solchen Berufsjugendlichen auf Dauer aushielt. Mein Schwager zählte nicht recht als Erwachsener und kam auf keinen Fall dafür in Frage, sich um meinen Sohn zu kümmern. Wer blieb also noch? «Sara», hatte ich geantwortet. «Sara wird immer für dich da sein, Ben.» Noch am selben Tag hatte ich sie gefragt, ob ich sie in meinem Testament als Bens Vormund einsetzen dürfe, und sie hatte sofort eingewilligt.
    «Es wird alles wieder gut», sagte ich jetzt zu ihm. «So was passiert leider hin und wieder.»
    «Tatsächlich?»
    «Ja. Da draußen laufen eine Menge seltsamer Gestalten rum, ist dir das noch nicht aufgefallen?»
    «Klar ist mir das aufgefallen! Mr.   Strolene zum Beispiel   …» Und schon ereiferte er sich wortreich über seinen Sportlehrer, von dem er in letzter Zeit recht häufig gesprochen hatte und der entweder einen ganz speziellen Humor besitzen oder tatsächlich wahnsinnig sein musste. Ich war sehr gespannt darauf, ihn einmal kennenzulernen.
    Nach einiger Zeit ging Ben ins Bett. Mitzi rollte sich nebenmir zusammen, ein schnurrendes, weißes Fellknäuel, während Ahab, unser getigerter Abenteurer, zum x-ten Mal mein ganzes Zimmer durchschnüffelte. Ich hörte mir die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter an. Sie waren alle von Joe, und jede klang, als wären wir die besten Freunde. Später, als ich im Dunkeln lag und nicht einschlafen konnte, klingelte mein Handy, und mir blieb fast das Herz stehen. Doch es war Rich. Ich ging ran, und wir unterhielten uns flüsternd. Er machte sich Sorgen um mich, und ich versicherte ihm noch einmal, dass ich gleich morgens zur Polizei gehen würde.
     
    Am nächsten Tag, als Ben zur Schule aufbrechen wollte, löcherte ich ihn mit mahnenden Fragen. Ich wusste, wie sehr ihn das nervte, aber in meiner Angst konnte ich nicht anders.
    «Hast du dein Handy dabei?»
    «Ja.»
    «Ist der Akku auch geladen?»
    «Ja.»
    «Und hast du es auch eingeschaltet?»
    «Ja-ha.»
    «Hast du deinen Hausschlüssel?»
    «Ja, Mom! Ich hab alles bei mir.»
    «Ich will einfach nur sicher sein   …»
    Ben stand bereits in der offenen Tür, beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange. «Mir passiert schon nichts, Mom. Mach dir nicht so viele Sorgen.» Er erwähnte den gestrigen Abend mit keinem Wort, und ich auch nicht. Ob er noch über Joes Anrufe nachdachte? Oder hatte sein junger, flexibler Geist das schon wieder hinter sich gelassen?
    «Ruf mich heute bitte an, wenn du in der Schule bist, und dann nochmal, wenn du um drei von dort aufbrichst, und auch nochmal, wenn du zu Hause bist.»
    Er sah mich mit ernster Miene an. «Das soll jetzt wohl ’n Witz sein, oder?»
    War es ein Witz? Waren diese Maßnahmen übertrieben? Ich hatte doch eigentlich vorgehabt, ihm mehr Freiheiten zu lassen, anstatt ihn noch stärker einzuschränken.
    «Ich weiß nicht so recht.»
    «Na klasse. Das hilft mir echt weiter. Bis dann, Mom.» Er ging durch die Tür, unter dem Vordach hindurch bis zum schmiedeeisernen Gartentor, hinaus in den herbstlichen Sonnenschein. Ich blieb im Schlafanzug im Flur stehen und ließ mich von der kühlen Luft umwehen. Aber sie fühlte sich nicht angenehm erfrischend an wie sonst immer. Heute schmerzte der kalte Wind regelrecht auf der bloßen Haut. Ich rieb mir mit den Händen die Arme, um mich zu wärmen, mich zu schützen.
    «Ich hab dich lieb, Schatz», rief ich meinem Sohn nach.
    «Ich dich auch.» Er drehte sich um und lächelte so liebevoll, wie er es oft getan hatte, als er noch klein war. Dann machte er sich auf den Weg zur Schule.
    Ich setzte mich mit einer Tasse Kaffee und dem Telefon in die Küche. Als

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