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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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Tatsächlich merkte man erst in Extremsituationen, was noch alles in einem Menschen steckte: Ritter oder hilflose Maid.
    «Wenn das hier ein Comic wäre, würde ich jetzt bewundernd deine Armmuskeln befühlen», sagte ich.
    Darüber musste nun er lachen – zum Glück, denn eigentlich wussten wir beide nicht recht, was wir sagen sollten. Ich hatte keine Ahnung, wie man sich in einer solchen Situation verhielt. Durfte ich erzählen, dass ich von einem Stalker belästigt wurde, oder war das in etwa so, wie einem Kollegen beiläufig von einer Geschlechtskrankheit zu erzählen? Da dachte man schließlich hinterher auch, man hätte es eigentlich lieber nicht gewusst.
    Erst als sich die Menge um uns herum zerstreute, erkannte ich Elliot. Er kam zu Stan und mir herüber und stellte ein paar Fragen. Wir schalteten auf Reportermodus und berichteten unserem Chefredakteur so sachlich wie möglich, was geschehen war. Ich erzählte von Stans heldenhaftem Einsatz, er von Joes Angriff. Elliot lauschte aufmerksam und nickte zu allem, was wir sagten. Draußen, bei Tageslicht, wirkte er älter, seine Haut fast durchscheinend. Und obwohl es noch früh am Tag war, zeigte sich bereits ein Bartschatten am Kinn.
    «Ich glaube, ich hole mir erst mal ein neues Sandwich», sagte ich.
    «Ich komme mit», erbot sich Stan.
    «Darcy», sagte Elliot. «Geh nach Hause.»
    «Aber ich habe noch jede Menge Arbeit.»
    «Nimm sie mit.»
    Er hatte ja recht. Ich konnte jetzt nicht einfach an meinen Schreibtisch zurückkehren, als ob nichts passiert wäre. Ich wusste ja nicht einmal, ob die Polizei Joe festhalten oder wieder gehen lassen würde. Dann fiel mir Ben ein. Ich musste ihn von der Schule abholen.
    Ich erzählte von dem gestohlenen Notebook. Elliot und Stan begleiteten mich zum Büro des Sicherheitsdienstes, wo ich zwei Formulare ausfüllen musste. Das erste meldete den Verlust und war erforderlich, damit ich ein neues Notebook bekam, das zweite war ein Bericht über den Vorfall, der sowohl im Haus archiviert als auch an die zuständige Polizeidienststelle weitergeleitet werden würde.
    «Jetzt wird er ganz bestimmt gefeuert», versicherte mir Elliot.
    «Seltsam, wie so was gehen kann», sagte ich. «Ich glaube, hier im Büro fühle ich mich jetzt eigentlich sicherer als anderswo.»
    «Stan? Bringst du Darcy bitte noch zur U-Bahn ?»
    «Na klar doch.»
    Und so sammelte ich alles Nötige von meinem Schreibtisch ein und dachte sogar daran, das Stalking-Logbuch aus der obersten Schublade zu nehmen. Während ich die Daten meiner Festplatte auf das neue Notebook überspielte, notierte ich den jüngsten Vorfall. Zum Glück fiel mir im letzten Moment noch ein, das Passwort für mein E-Mail -Konto zu ändern, damit die neuen Nachrichten nicht mehr auf dem alten Notebook und damit bei Joe landeten. Anschließend begleitete mich Stan zum Eingang der Linie F an der Sixth Avenue. Auf dem Weg erzählte er mir von seinen Zwillingen, einem Jungen und einem Mädchen, die sich schon jetzt ganz unterschiedlich entwickelten.
    «Die Frage, was angeboren und was anerzogen ist, erscheint einem in völlig neuem Licht, sobald man Kinder hat.» Stan drängte sich an einem Müllcontainer vorbei, der ein Stück in den Gehweg hineinragte, um mich vor dessen scharfer Kante zu bewahren, falls ich sie nicht gesehen hatte.
    «Das hat mein Mann auch immer gesagt, als Ben auf der Welt war.»
    «Ich habe das mit deinem Mann gehört. Es tut mir wirklich leid. Man hat es sicher nicht leicht als alleinerziehende Mutter.»
    «Ach, es geht.» Trotzdem musste ich die Tränen unterdrücken, weil mir plötzlich Hugo so lebhaft vor Augen stand. Er hielt Ben im Arm. «Unser Sohn ist schon ganz fertig zur Welt gekommen, Darcy», hatte er zu mir gesagt. Hugo, der selbst nicht viel anhatte, hielt das nackte Baby behutsam an die Brust gedrückt. «Eigentlich unglaublich, wie das bei Babys funktioniert. Sie werden so geboren, wie sie sind.» Dann hatte er Bens Gesicht ganz sanft geküsst, sechsunddreißigmal (ich zählte mit), und dazu gesagt: «Ein Kussfür jeden Zentimeter», obwohl das Gesicht eines Babys kaum so viele Zentimeter messen dürfte.
    Ich fuhr mit der U-Bahn direkt nach Park Slope, obwohl ich noch eine Dreiviertelstunde zu früh war, um Ben abzuholen. Es war mir wichtig, pünktlich zu sein, weil er ja nicht mit mir rechnete. Ich holte mir ein Sandwich und einen Kaffee, setzte mich auf ein Mäuerchen gegenüber der Schule und rief Jess an.
    «In Ordnung», sagte er, nachdem ich ihm

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