Nur 15 Sekunden
jung geklungen, und als er jetzt vor mir stand, wurde ich noch skeptischer. Aber da wir nun einmal hier waren, konnten wirihm zumindest eine Chance geben. Courtney, die neben mir an dem schmalen Besprechungstisch saß, konnte kaum den Blick von diesem Adonis abwenden, der jetzt am oberen Tischende Platz nahm und den Laptop aufklappte. Ich sah sofort, dass er ihr gefiel. Bisher hatte ich sie nur mit Männern erlebt, die sie eigentlich nicht interessierten – das konnte noch spannend werden.
Jed begann die Besprechung, indem er Courtney, die sehr aufrecht mit übereinandergeschlagenen Beinen am Tisch saß und ihn mit rosaglänzenden Lippen anlächelte, den blauen Ordner hinschob.
«Es freut mich, Sie kennenzulernen, Darcy, auch wenn es unter bedauerlichen Umständen geschieht.» Vermutlich hatte er den Satz in diesem Raum schon unzählige Male geäußert – aber wie oft hatte er ihn wohl schon an die falsche Frau gerichtet? Im Grunde hätte es mich ja überhaupt nicht wundern dürfen, dass er ganz selbstverständlich davon ausging, die unwiderstehliche Courtney sei seine neue Stalking-Klientin.
«Ich bin Darcy», sagte ich.
Sein Blick wanderte zu mir und musterte mich. Und obwohl er weiterhin lächelte, lag plötzlich etwas leicht Gezwungenes darin, als würde er denken: Das ist die Frau, ohne die irgendein Schwachkopf nicht leben kann?
«Ich bin Darcys Freundin», sagte Courtney. «Ich begleite sie nur.»
Courtney und Jed tauschten ein verführerisches Lächeln, und mir wurde die erotische Spannung zwischen ihnen ein wenig unangenehm.
«Wir sind Arbeitskolleginnen», erklärte ich. «Courtney und ich.»
«Nun, es freut mich jedenfalls, Sie beide kennenzulernen. Ich werde jetzt erst mal eine neue Akte für Sie anlegen,Darcy.» Er tippte ein paarmal auf seine Tastatur, wartete mit zusammengekniffenen Augen, bis sich das entsprechende Fenster geöffnet hatte, lehnte sich dann zurück und sah uns an. «Gut … Sie werden also von einem Stalker verfolgt?»
«Ja.»
«Erzählen Sie mir, was Sie auf den Gedanken bringt, Sie könnten gestalkt werden.»
«Nein, nein», unterbrach ihn Courtney. «Sie wird definitiv gestalkt. Ich kenne den Kerl, das ist ein perverser Irrer.»
Jed gab etwas in seinen Computer ein. «Woher kennen Sie ihn?»
«Von der Arbeit», sagte Courtney.
«Eigentlich kannte ich ihn schon vorher.» Ich begann zu erzählen, trotz des unguten Gefühls, dass sich zwischen Jed und mir absolut kein Vertrauensverhältnis entwickeln konnte. Wahrscheinlich fiel es ihm immer noch schwer zu glauben, dass ausgerechnet ich das Stalking-Opfer war, obwohl eine ungleich begehrenswertere Frau direkt neben mir saß. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Ich zwang mich weiterzureden, bis er die ganze Geschichte kannte.
«So, so.» Er lehnte sich zurück, nickte ernst und legte die Fingerspitzen aneinander: ein kleiner Junge, der den professionellen Geschäftsmann mimt. «Ich muss Ihnen jetzt leider ein paar unangenehme Fragen stellen.»
«Von mir aus.»
Er machte eine theatralische Pause. «Besteht oder bestand eine sexuelle Beziehung?»
Courtney prustete los.
«Mit Joe, meinen Sie?», fragte ich.
Er nickte so ernst, wie es nur ein kleiner dummer Junge tun kann.
«Nein, natürlich nicht!»
«Es tut mir leid, aber ich musste Sie das fragen.»
«Wieso denn? Ich habe Ihnen meine Beziehung zu ihm doch gerade erläutert. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich ihn kaum kenne.»
«Das gehört nun einmal zu unseren Standardfragen.»
Er las seine Fragen also von einer Liste auf dem Bildschirm ab! Ich hatte mich getäuscht: Er war noch keine zwölf – er war erst neun.
Die nächste Frage auf der Liste lautete: «Ist der Stalker bereits vorbestraft?» Dieses Mal beantwortete er sie gleich selbst: «Sie haben mir ja erzählt, dass Mr. Coffin auf Martha’s Vineyard, wo er aufgewachsen ist, nicht straffällig wurde. Sagen wir also einfach nein.» Er klickte das entsprechende Kästchen auf dem Bildschirm an. «Besteht eine Abhängigkeit oder ein sonstiger Missbrauch von Drogen oder anderen chemischen Substanzen?»
«Ich nehme keine Drogen.»
Er lächelte. «Aber doch nicht Sie. Mr. Coffin.»
«Sie müssen entschuldigen, aber ich habe wirklich ein Problem damit, dass Sie immer von Mr. Coffin reden, als wäre er ein ganz normaler erwachsener Mensch.»
«Nennen Sie ihn einfach Joke», warf Courtney ein. «Das ist doch ein passender Name.»
Jed ließ seinen Blick einen Augenblick lächelnd auf
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