Nur 15 Sekunden
dem Bürgersteig stehen. Courtneys Arbeitstag begann um sieben, offiziell hatte sie also schon fast Feierabend; aber natürlich saß sie, genau wie ich, oft noch zu Hause am Computer.
«Musst du nochmal ins Büro?», fragte ich sie.
«Nicht unbedingt, meinen Artikel für morgen habe ich abgegeben. Wollen wir noch einen Kaffee trinken? Dann können wir uns auch das Material hier anschauen.» Damit meinte sie den blauen Ordner, den sie in der Hand hielt.
Ich warf einen Blick auf die Uhr: schon halb drei. «Ich möchte zu Hause sein, wenn Ben aus der Schule kommt, dafür bin ich jetzt schon spät dran.»
«Hat er denn keinen Schlüssel?»
«Schon, aber …»
Ich brauchte nicht weiterzureden. Courtney nickte bereits verständnisvoll. Ihr war klar, dass ich Ben nicht zu lange allein lassen wollte – nicht, solange es Joe gab. Was, wenn er bei uns klingelte? Wenn Ben die Tür öffnete?
«Warst du schon mal in Brooklyn?», fragte ich.
«Da wohnte ein Ex von mir. Ist das eine Einladung?»
Und so fuhren wir gemeinsam mit der U-Bahn in mein Viertel, und ich stellte Courtney Kaffee und Scones von der großartigen Bäckerei um die Ecke in Aussicht. Auf der Fahrt drehte sie sich immer wieder um. Ich hatte den Eindruck, sie hoffte geradezu, Joe irgendwo zu entdecken. Fast wünschte ich mir das auch, weil mich doch interessiert hätte, was Courtney tun würde, wenn sie Joe tatsächlich ertappte. Vermutlich würde sie ihm den Kopf abreißen. Das hätte ich zu gerne gesehen.
Doch Joe war nirgends zu entdecken. Stattdessen trafen wir vor meiner Haustür Rich und Ben, der in seinem Schulrucksack nach dem Schlüssel wühlte. Er hatte die Angewohnheit, den Schlüssel immer mitten hinein zu werfen, wo er dann auf dem Boden des Rucksacks zwischen Bleistiften, Kugelschreibern, Radiergummis, Taschenrechner, Papierfetzen und sonstigem Krimskrams landete. Das würde er sich wohl endgültig abgewöhnen müssen: Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie er hier draußen stand, nach seinem Schlüssel kramte und Joe damit die beste Gelegenheit gab, sich ihm zu nähern. Zum Glück war Rich so klug gewesen zu warten, bis Ben im Haus war.
«Hallo, Schätzchen», begrüßte ich meinen Sohn.
Ben hockte neben seinem Rucksack, sah zu mir hoch und lächelte mich an. Rich, der neben ihm stand, lächelte ebenfalls.
«Das ist Courtney, eine Arbeitskollegin.»
«Du bist zur Arbeit gegangen?», fragte Rich – und alle starrten ihn an. Seine spontane Reaktion, die nackte Sorge um mich, machte unser Verhältnis nur allzu offensichtlich. Vor allem für Ben, der das ja ohnehin schon ahnte, aber natürlich auch für Courtney, deren Antennen wie immer voll ausgefahren waren.
«Nein, Courtney und ich waren nur zusammen bei einem Termin.»
Rich gab sich Mühe, wieder etwas distanzierter zu wirken, aber es war bereits zu spät.
Courtney beugte sich vor, hielt ihm die Hand hin und strahlte ihn an. «Dann sind Sie also Rich.»
Er wurde knallrot. Es passte ganz wunderbar zu seinem dunkelroten Haar, und seine Verlegenheit wirkte so rührend, dass mein Verlangen nach ihm nur noch wuchs. Wozu sollte es auch gut sein, unser Verhältnis weiter zu verbergen? Das kostete viel zu viel Energie, die wir besser für das eigentlich Wichtige einsetzen konnten: den Kampf gegen Joe Coffin. Ich war von Freunden umgeben, und es schadete nichts, wenn sie einander kennenlernten.
«Kommt rein», sagte ich. «Ich habe Scones gekauft.»
Wir setzten uns mit einem großen Teller Scones mit Orangeat und Rosinen, Kaffee für uns Erwachsene und einem Glas Milch für Ben an den Küchentisch und unterhielten uns über die Schule, das Viertel, die Arbeit bei der
Times
. Erst als Ben sich nach oben zurückgezogen hatte, um am Fernseher in meinem Zimmer ein Videospiel zu machen, erlaubte ich Courtney, den blauen Ordner aufzuschlagen.
Dabei erzählten wir Rich von Jed Stevens und machten uns erbarmungslos über ihn lustig. Es erstaunte mich etwas, wie wenig zurückhaltend Courtney dabei war; schließlich wollte sie den Jungen noch ins Bett kriegen.
«Meine Güte!» Courtney blätterte den Ordner durch und zog die Preisliste hervor. «Der Spaß hätte dich mal locker fünftausend Dollar gekostet.»
Rich hob den Kopf: Das war ein nicht unbeträchtlicher Teil seines Lehrergehalts. Es war auch ein nicht unbeträchtlicher Teil meines Journalistenhonorars, ich hätte mir die Dienste von MacDonald & Tierney also gar nicht leistenkönnen, selbst wenn ich von ihren Fähigkeiten
Weitere Kostenlose Bücher