Nur 15 Sekunden
installiert war, stand dem absolut nichts mehr im Wege.
Aber wenn ich dann sicher und geborgen in meinem bis unters Dach verbarrikadierten, hellerleuchteten und alarmgesicherten Haus saß … was dann? Ich konnte mich doch nicht ewig hier verkriechen, das vertrug sich weder mit den Aufgaben einer Journalistin noch mit denen einer Mutter.Vielleicht war es doch die bessere Lösung, Joe an mich heranzulassen, ihn herauszufordern, damit er der Polizei einen Grund gab, ihn möglichst lange einzusperren. Wenn er etwas richtig Schlimmes tat … Doch allein der Gedanke überzeugte mich wieder von dem pragmatischen Plan, den meine Berater für mich ausgearbeitet hatten: Ruhe bewahren und alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen treffen. Darüber hinaus konnte ich vorläufig nichts tun.
Später am Abend, als Ben und ich zusammen im Wohnzimmer saßen und eine DVD anschauten, setzte das nervtötende Klingeln des Telefons wieder ein und wollte gar nicht mehr aufhören. Wir versuchten, es nicht zu beachten, und stellten den Fernseher so laut wie möglich. Mitzi und Ahab schienen sich bereits an das ständige Klingeln gewöhnt zu haben: Sie versteckten sich nicht mehr, flitzten auch nicht nervös durch die Gegend, sondern blieben gemütlich auf unserem Schoß oder wenigstens in Streichelreichweite liegen.
Doch Bens Geduld erwies sich als weniger widerstandsfähig. Irgendwann hielt er die DVD an und schaffte es nach einigem Tüfteln, bei allen drei Telefonen den Ton abzustellen. Es dauerte eine Weile, weil es drei unterschiedliche Modelle waren und keines einfach nur einen Knopf zum Tonabschalten besaß. Einer der Apparate musste sogar mit einem speziellen Schlüssel aufgeschraubt werden, den ich erst mühsam aus einer der noch unausgepackten Kisten in meinem Zimmer heraussuchen musste. Doch schließlich konnten wir den Film in himmlischer Ruhe genießen und den Abend entspannt ausklingen lassen.
Mit dem Klingeln der Telefone schien auch das Rotieren der Gedanken abgestellt. Am nächsten Morgen war es fast, als gäbe es keinen Joe, weil wir nichts mehr von seinen Kontaktversuchen merkten. Wir fühlten uns frei, das zu tun, waswir samstags immer taten. Wir frühstückten zusammen und teilten uns die Wochenendausgabe der
Times
. Ich las mit großem Interesse den Artikel, den Stan und Courtney verfasst hatten, und stellte fest, dass Courtney sich tags zuvor fast wörtlich zitiert hatte. Auch sonst war der Artikel ganz so, wie sie gesagt hatte: Er deutete an, ohne anzuklagen. Außerdem erwähnte er zum ersten Mal die widersprüchlichen Verkaufsdokumente. Courtney und Stan mussten die Unterlagen in den letzten Tagen gewissenhaft überprüft haben, sonst hätte Elliot bestimmt niemals zugelassen, dass der Artikel darauf Bezug nahm. Jetzt würde sich die Stadtverwaltung noch um einiges vehementer gegen die Unterstellung wehren, sie hätte in ihrer Funktion als Vermittlerin beim Erwerb des Grundstücks gewissermaßen ihre Seele verkauft. Natürlich war allgemein bekannt, dass die derzeitige Regierung mit manchen Immobilienfirmen auf etwas zu freundschaftlichem Fuß stand, und es lag auch auf der Hand, dass sich die Mafia nicht ohne Gegenleistung so handzahm zeigen würde. Aber es gab nun einmal verschiedene Formen von Freundschaft, die in etwa dem Unterschied zwischen einem herzlichen Händedruck und außerehelichem Sex entsprachen. Dieses Mal war die Stadtverwaltung bei ihrem Flirt mit der Macht offenbar etwas zu weit gegangen. Wenn Abe Starkman sich nicht an die Zeitung gewandt hätte, lägen die Knochen noch immer falsch einsortiert im Lager am Pearson Place, ihrem zweiten namenlosen Grab, und alle Korruptionsvorwürfe würden ungehört verhallen.
Mir wurde jedes Mal ganz anders, wenn ich an Abe dachte. Der Gedanke an ihn führte mich an den Rand eines weiteren Abgrunds, bis an das tiefe, kalte Meer, in dem ich seit Hugos Tod immer wieder zu versinken drohte. Mein ganzer Körper war erfüllt von Schmerz, wenn ich daran dachte. Ben musste die Tränen bemerkt haben, die mir inden Augen standen, denn er stand abrupt vom Frühstückstisch auf und ging aus dem Zimmer, ließ mich allein in der Küche dieses Hauses, in dem wir noch immer nicht richtig heimisch geworden waren. Es war still in der Küche. Draußen zwitscherten die Vögel, man hörte das Rufen eines Kindes, das Brummen einer Motorsäge, und nach all den Tagen mit dem ständig klingelnden Telefon merkte ich zum ersten Mal wieder, dass Stille so still eigentlich gar nicht
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