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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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Staatsanwaltschaft Nervosität verbreitet; das könnte die deutlich spürbare Milde erklären, mit der Sal Corarro gestern im Zeugenstand vernommen wurde.› So was in der Art habe ich geschrieben.»
    «Das wird den hohen Tieren aber ziemlich sauer aufstoßen.»
    «Elliot hat es abgesegnet, er hat sogar Overlys Zustimmung bekommen, von daher   …» Courtney zuckte mit perfekt gespielter Unschuld die Achseln, ohne dass das ironische Glitzern aus ihren Augen verschwunden wäre. «Unsere Aufgabe ist doch nur, Ohren und Augen offen und die Bleistifte gezückt zu halten, stimmt’s?»
    «Stimmt. Nur dass kein Mensch mehr mit Bleistift schreibt.»
    «Hal schon.» Unser redaktionseigenes Fossil hinter der Legowand.
    «Vielleicht kann er mir ja ein paar Tipps geben, wie man feindliche Streitmächte abwehrt.»
    «Lieber nicht, er ist ein Exzentriker. An deiner Stelle würde ich mich weiter an die gute alte Vernunft halten.»
    Wir küssten uns auf die Wange, und sie ging hinaus in den schwindenden Nachmittag, auf der Jagd nach Knochen, Mördern und Sex – die langbeinige, goldhaarige, hochelegante Verkörperung eines lebbaren Widerspruchs.
    Durch die offene Haustür spürte ich, dass es draußen mit einbrechender Dämmerung empfindlich kühl geworden war – der erste Hinweis, dass der Winter mit seiner Dunkelheitund Kälte unweigerlich bevorstand. Ich blieb einen Augenblick stehen, genoss die entspannte Einsamkeit und war dankbar für diesen Nachmittag, der mir so viel Freundschaft und Unterstützung offenbart hatte.
    Und dann, für den Bruchteil einer Sekunde, sah ich Joe auf der anderen Straßenseite.
    Ich trat einen Schritt nach draußen, um besser sehen zu können. Der Mann sah Joe sehr ähnlich, er war Anfang zwanzig, hatte dunkles Haar und einen hellen Teint und trug eine rote Baseballkappe. Und er ging rasch, mit spürbarer Energie. Plötzlich hatte ich einen höchst merkwürdigen Gedanken: Hatte die Maske des Zorns auf Joes Gesicht, als ich ihn das letzte Mal aus nächster Nähe gesehen hatte, etwa die Erinnerung an den eigentlichen Joe ausgelöscht? Hatte ich vergessen, wie er normalerweise aussah? Falls man in diesem Fall überhaupt von «normal» sprechen konnte. Würde jetzt jeder Mann, der ihm auch nur entfernt ähnelte, Joe für mich sein? Wie sollte ich bloß so viele Joes in meinem Kopf beherbergen?
    Ich rieb mir die Arme gegen die Kälte und ermahnte mich stumm, nicht albern zu sein. Natürlich würde ich Joe erkennen, natürlich gab es ihn nur einmal. Dann ging ich zurück ins Haus, um Rich zu seinen Besorgungen zu scheuchen und selbst mit meinem Teil der Aufgaben anzufangen.
    Doch bevor er ging, küssten wir uns, allein im dunkelsten Teil der Diele zwischen der Küche und dem Fuß der Treppe, verborgen im Schatten. Von oben drang das Klingeln und Jaulen des Videospiels herunter und bewahrte uns davor, die Hände allzu weit unter die Kleidung des anderen wandern zu lassen. Dennoch fand ich für einen Augenblick seine Haut, spürte den gespannten Rücken und ließ die Finger über die lange Muskulatur um seine Wirbelsäule gleiten. Seine Finger folgten den Umrissen meiner Brüste, seine Lippenlagen an meinem Hals   … Dann brachten uns Schritte von oben wieder zur Besinnung, kurz bevor der Moment erreicht war, wenn man nicht mehr zurückkann, weil der Körper so aufgeladen ist, so reif, so bereit.
    «Mr.   Salter wollte gerade gehen», sagte ich zu Ben, der die Treppe hinunter in die Diele polterte.
    «Bis morgen, Kleiner.»
    «Bis dann, Mr.   Salter.»
    Ben blieb stehen und sah mir dabei zu, wie ich seinen Lehrer zur Tür brachte. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und bedachte Rich sogar noch mit einem Nette-Mama-Winken, als er das Eisentor aufstieß und über die Straße davonging.
    «Der ist schon klasse, Mom», sagte Ben grinsend.
    «Hast du etwa keine Hausaufgaben?»
    «Es ist Freitag. Was gibt’s zum Abendessen?»
    «Gute Frage.»
    Der Kühlschrank war ziemlich leer, doch ich fand heraus, dass der Metzger im Viertel auch ins Haus lieferte, und bestellte verschiedene Sorten Fleisch, um das Tiefkühlfach damit zu bestücken. Den Rest des Wocheneinkaufs würden wir künftig wohl über Fresh Direct abwickeln. Im Grunde konnte ich alles bestellen, was wir brauchten, Lebensmittel, Kleider, alles Erdenkliche. Solange Rich Ben zur Schule begleitete und wieder abholte und ich zu Hause arbeitete, konnte ich das Eremitendasein völlig neu erfinden. Und wenn mein Sicherheitssystem erst

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