Nur dein Leben
vielleicht zu Recht, aber wenn keiner je ein Wagnis eingegangen wäre – na ja –, dann wäre die menschliche Spezies nicht weit gekommen. Vielleicht hätten wir nicht einmal so lange überlebt, und auf jeden Fall würden wir augenblicklich wohl in einem finsteren Zeitalter leben.«
»Tun wir das nicht?«, fragte Naomi. »Diese Fanatiker, die Apostel des Dritten Jahrtausends … Schon allein die Tatsache, dass sie sich irgendwo dort draußen herumtreiben und meinen, ihr Glaube gäbe ihnen das Recht, Menschen umzubringen und niemand kann sie aufhalten – das macht einen schon glauben, dass die Zivilisation nichts weiter als sehr dünner Lack ist.«
»Und das versuchen wir zu verändern. Darum ging es bei dem Besuch bei Dettore.«
»Tatsächlich? Ich dachte, es sei darum gegangen, nicht noch einmal ein Kind zu bekommen, das mit vier Jahren an einer unheilbaren Erbkrankheit stirbt. Oder hat noch etwas anderes dahintergesteckt? Etwas, das du mir verschweigst?«
»Ich verschweige dir nichts, ich teile alles mit dir.«
Sie schwieg einige Augenblicke lang nachdenklich und sagte dann: »Du hättest es mir doch gesagt, oder, wenn …«
»Wenn was?«
»Wenn du mit Dr. Dettore etwas anderes wegen … der Babys vereinbart hättest.«
»Was soll das heißen,
etwas anderes
?«
»All diese Auswahlmöglichkeiten, die er uns geboten hat. All die Kästchen, die wir ankreuzen mussten. Vielleicht hast du ja mit ihm irgendetwas hinter meinem Rücken ausgemacht.«
»Aber nein!«, protestierte John. »Niemals hätte ich so etwas getan, Schatz! Unter gar keinen Umständen! Vertraust du mir etwa nicht?«
»Doch, natürlich. Aber Dettore traue ich nicht über den Weg. Weißt du, die ganze Zeit sehe ich mir Luke und Phoebe an und frage mich – du weißt schon –, was er getan hat, was in ihnen steckt, welche Überraschungen uns noch erwarten. Wäre es nicht toll, wenn wir ihr gesamtes Genom entschlüsseln lassen könnten? Dann wüssten wir wenigstens Bescheid.«
»Und wenn du etwas finden würdest, was dir nicht gefällt, was würdest du dann tun?«
Sie schwieg. Darauf wusste sie keine Antwort.
47
HIER UNTEN IN DER DUNKELHEIT
der Kloake scheint nur ein Licht, meine Freunde. Sein Licht. Er zeigt uns den Weg zu jenen, die uns folgen wollen, und wer sich entschließt, uns nicht zu folgen, muss die Konsequenzen tragen.
Der ist verdammt.
Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen. Jesaja 5 : 20 .
Ich habe eure Namen schwarz auf weiß auf Papier, meine Freunde. Und im Speicher meines Computers. Und in meinem Kopf. Heute seid ihr überall und sonnt euch in eurer eigenen Wichtigkeit. Doch, meine Freunde, ihr seid verdammt. Und nicht nur hier auf Erden. Fürchtet nicht mich, der euren Körper töten kann, aber nicht eure Seele. Fürchtet euch lieber vor Gott, der sowohl eure Körper als auch eure Seelen der Hölle anheimgibt.
Wie gefällt es Ihnen unten in der Hölle, Mr. und Mrs. O’Rourke und euch, ihrer widerwärtigen Brut, Jackson und Chelsey? Habt ihr schon bereut? Keine Sorge, ihr habt viel Zeit, alle Zeit der Welt. Jegliches hat seine Zeit … Und Gott hat zuerst Sie ausgesucht, Mr. und Mrs. O’Rourke. Doch schon bald werden sich andere hinzugesellen.
Der Apostel saß auf dem harten Holzstuhl in seiner schattigen Klosterzelle und starrte durch das Fenster auf den ummauerten Küchengarten unterhalb von ihm. Winzige grüne Triebe schauten aus der gefurchten Erde heraus. Er hatte Tomaten, Brokkoli, Zucchini, Salat und Kartoffeln gepflanzt. Biologisch. Nicht wie der Mist in den Supermärkten. Nicht wie der Mist auf den Weizenfeldern jenseits des Klostergartens. Man erkannte deutlich den Unterschied zwischen den Feldern mit echtem Weizen und denen mit Teufelssamen. Der echte Weizen leuchtete golden in der Sonne, weil Gottes Segen auf ihm ruhte. Das genmanipulierte Zeug blieb schlammig braun; es wuchs verschämt in beständigem Schatten.
Ein lautes, rhythmisches Klopfen durchbrach die Stille des warmen Vormittags. Der Ruf zum Mittagsgebet. Folgsam erhob er sich und zog die schwarze Mönchskapuze über den Kopf bis tief in die Stirn.
Der Abt hatte ihn zum stellvertretenden Herbergsvater ernannt, doch seine Pflichten lenkten ihn kaum von seinen Gedanken und Plänen ab. In die Wildnis Iowas verirrten sich nur wenige Pilger. Seine Pflichten hier waren gering, verglichen mit seinen
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