Nur dein Leben
bis seine Zeit um war. Er war über siebzig und konnte nicht umgraben, weil er Rückenprobleme hatte. Aus demselben Grund konnte er nicht Rasen mähen. Er redete kein Wort und müffelte nach feuchten Polstermöbeln. Naomi hatte bei der Agentur beantragt, ihn zu ersetzen. Man hatte die Eigentümer in Saudi-Arabien angeschrieben, bisher aber keine Antwort erhalten.
Phoebe riss sie aus ihren Gedanken, weil sie mit dem Löffel gegen ihren Teller haute. Kurz darauf begann Luke zu schreien und übertönte glatt das Jingle der Morgennachrichten. Dann schmiss er seine Müslischüssel auf den Boden, so dass der Inhalt in alle Richtungen spritzte.
Wütend biss sich Naomi auf die Lippe. So eine Schweinerei! Nicht nur musste sie wickeln, bergeweise Wäsche waschen und die übrige Hausarbeit erledigen, sondern jetzt auch noch durchweichten Müslibrei von Boden und Wänden kratzen!
Ihr war danach, ihn anzuschreien. Stattdessen fand sie einen Beißring und versuchte, ihn dem Schreihals in den Mund zu stecken, aber er wehrte sich mit Händen und Füßen und schrie noch lauter. Dann warf Phoebe ihren Löffel auf den Boden und stimmte in sein Gebrüll ein.
Naomi griff nach der Fernbedienung und stellte den Fernseher auf maximale Lautstärke. »Ich will dieses Interview jetzt hören!«, brüllte sie die Kinder herausfordernd an. »Ich mag diesen Typen, okay? Er ist einer meiner Lieblingsschauspieler. Jetzt gibt es hier ein bisschen
Mamazeit.
Verstanden?«
Sie drehte sich um, ignorierte das Gezeter und Geheule hinter ihrem Rücken, stellte sich unmittelbar vor den Fernseher und sah sich das Interview bis zum Ende an. Ihre Ohren klingelten.
Anschließend drehte sie die Lautstärke wieder runter, und als sie sich zu den Kindern umdrehte, starrten diese sie zu ihrer Überraschung schweigend an, die Münder geöffnet, die Augen aufgerissen.
Naomi grinste sie an. »So, jetzt hätten wir mal geklärt, wer hier die Chefin ist.« Dann gab sie beiden einen Kuss, bereitete Luke eine neue Schüssel Müsli zu und fütterte ihn. Er aß schweigend und ohne zu protestieren. Gut. Fast zu gut, um wahr zu sein. »Brav!«, lobte sie.
Er starrte sie ausdruckslos an.
»Und du hast alles allein aufgegessen! Braves Mädchen!«, fuhr Naomi fort und wischte Phoebe Müsli aus den Mundwinkeln.
Quasi synchron zu ihrem Bruder starrte auch Phoebe sie einen Augenblick lang ausdruckslos an. Dann lächelten beide Kinder.
Sie schwiegen weiterhin, als sie sie hinauftrug und auf den Boden im Badezimmer legte, während sie duschte. Normalerweise lugten noch bevor sie fertig war zwei kleine Gesichter um den Duschvorhang und sahen ihr zu. Heute jedoch blieben die Kinder reglos dort liegen, wo sie sie hingelegt hatte.
Wieder unten in der Küche, als sie die erste Ladung Wäsche in die Maschine steckte, schwiegen sie noch immer. Sonst rollten sie sich immer auf dem Boden herum und balgten sich. Mal krabbelte Luke auf Phoebe, mal umgekehrt und drückte den anderen herunter. Doch heute Morgen – nichts.
Allmählich ging Naomi ihr Verhalten auf die Nerven.
Um halb zehn wechselte sie ihnen die Windeln. Anschließend legte sie sich mit ihnen ins Bett, stillte sie und machte ein Nickerchen. Als sie erwachte, starrten beide sie schweigend an.
Sie trug sie in ihr Zimmer, legte sie in ihre Bettchen und ging hinunter in die Küche. Nachdem sie die Wäsche aus der Waschmaschine in den Trockner geräumt hatte, bereitete sie sich eine Tasse Tee zu, lauschte eine Weile über das Babyphon ihrem Atem und setzte sich dann mit der
Daily Mail
an den Küchentisch. Es war zehn Uhr. Mit etwas Glück hätte sie eine ganze herrliche Stunde für sich.
Kurz nachdem der Trockner fertig war, hörte sie die beiden kichern und einander von Bett zu Bett zurufen, als spielten sie miteinander. Zuerst gab Luke ein Gurgeln von sich, woraufhin Phoebe kicherte. Dann gurgelte Phoebe ganz ähnlich und Luke lachte sich kaputt.
Naomi ging hinauf. Es war Zeit für die nächste Mahlzeit, und anschließend mussten sie sich für die Krabbelgruppe anziehen. Als sie das Zimmer betrat, rechnete sie mit weiteren Geräuschen, doch sie wurde von tiefer Stille begrüßt. Beide Kinder starrten sie genauso an wie am Vormittag, sogar noch eindringlicher.
Erschrocken blieb sie stehen. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, die beiden seien die Eltern und sie das Kleinkind.
50
JOHN ERSCHRAK ÜBER NAOMIS GESICHTSAUSDRUCK, als sie ihm die Haustür öffnete. Sie war blass und erschöpft.
»Ist etwas mit den
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