Nur dein Leben
ihm.
Auch in seinem Herzen war es dunkel.
Er fuhr gleichmäßig achtzig Kilometer pro Stunde. Im Scheinwerferlicht erschienen wie aus dem Nichts die vertrauten Landmarken. Genauso war es in seinem Kopf. Er versuchte, aus den plötzlich auftauchenden Gedanken einen festzuhalten, doch es gelang ihm nicht.
Sie hatten Amerika verlassen und waren hierher gezogen. Wäre es sinnvoll, erneut umzuziehen – und wenn ja, wohin? Nach Schweden? Würden sie dort sicherer sein, außerhalb der Reichweite dieser Verrückten? Vor einigen Jahren war der schwedische Premierminister mitten auf einer belebten Straße erschossen worden. Wo auf dieser Welt war man vor Fanatikern sicher?
Er passierte einen hell erleuchteten Pub zur Rechten, gefolgt von dem Schild eines Bauernhofladens. Dann erstreckte sich wieder ein langes, dunkles, von Hecken gesäumtes Stück Straße vor ihm. In vierzehn Tagen wurden die Uhren auf Sommerzeit umgestellt, bald würde er im Hellen nach Hause fahren. Bei Tag war man sicherer als bei Nacht, oder nicht?
Sein Handy klingelte, und an der Nummer auf dem Display sah er, dass es Naomi war. Er steckte den Apparat in die Schale der Freisprechanlage und meldete sich. »Hallo, Schatz, ich bin in fünf Minuten zu Hause.«
»Du bist spät dran, ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.« Sie klang seltsam, sehr abgespannt.
»Tut mir leid, ich habe ein paarmal versucht, dich anzurufen, aber es war immer besetzt.«
»Du hast gesagt, du würdest um sechs nach Hause kommen.«
»Ich saß in einer Teambesprechung fest …«
Dann geriet er in ein Funkloch.
Er fluchte. Der Empfang war immer schlecht in dieser Gegend. Er versuchte, sie zurückzurufen, hatte aber keine Verbindung. Minuten später sah er das Licht einer Tankstelle und bog ein.
Die Auswahl an Blumen war armselig. Am schönsten war ein kleiner Strauß roter Rosen in Cellophan. Er kaufte ihn und fuhr weiter. Fünf Minuten später bog er von der Landstraße in die schmale Allee ab, die zum Dorf führte.
Caibourne lag fünfzehn Kilometer östlich von Brighton und sechs Kilometer von Lewes entfernt, der uralten historischen Kreisstadt von Sussex. Im Grunde war es eher ein Weiler als ein Dorf. Es gab einen Pub, mehr für Einheimische als für Touristen, eine Kirche mit stark reparaturbedürftigem Dach, eine winzige Post, die auch einen kleinen Laden beherbergte, eine gutbesuchte Grundschule, einen Tennisclub mit einem Platz und eine Siedlung kleiner Häuser, die zum nahegelegenen Schloss Caibourne Place gehörten und hauptsächlich von Land- und Gutsarbeitern bewohnt wurden.
John fuhr an einer Reihe von Arbeiterhäuschen, der Schule und der Kirche vorbei. Drei Kilometer hinter dem Dorf bog er in den schmalen Feldweg ein, der zu ihrem Haus führte. Ein Kaninchen geriet ihm vors Auto, und er musste scharf bremsen, als das Tier einen Haken schlug, wieder zurückrannte und ein paar Meter vor ihm her hoppelte, bis es endlich durch ein Loch im Drahtzaun schlüpfte und auf ein gepflügtes Feld entkam. Jenseits der Scheinwerferkegel herrschte finstere Nacht.
Brutale Morde.
Verstümmelungen.
Schon das zweite Paar.
Über Dettore kursierten zig Berichte im Internet. Besonders beunruhigend waren eine Reihe anonymer Blogposts von jemandem, der behauptete, ein ehemaliger Angestellter der Klinik zu sein. Weiß Gott, welche Daten aus der Klinik nach außen gesickert waren!
Falls diese Organisation – diese Sekte, dieser Haufen Verrückter, wie auch immer – Dettores Klinik gekapert hatte, wenn sie über genügend Informationen verfügten, um George und Angelina und die Familie Borowitz zu finden, konnten sie höchstwahrscheinlich auch alle anderen aufspüren.
John bog um eine scharfe Rechtskurve und sah jetzt die Lichter ihres Hauses einige hundert Meter vor ihm. Er fuhr über ein Viehgitter auf die Kiesauffahrt und parkte neben Naomis Subaru Kombi.
Als er ausstieg, öffnete Naomi schon die Tür. Sie sah blass aus. John holte den Laptop und den Strauß vom Rücksitz, schloss die Tür und ging auf sie zu. Sie nahm kaum Notiz von den Blumen, fiel ihm in die Arme und klammerte sich an ihn.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich habe versucht, dich zurückzurufen, aber …«
Ihr Gesicht war feucht und ihre Augen vom Weinen gerötet.
»Was ist denn los, Schatz?«, fragte er, obwohl er es ihr schon ansah.
Sie gingen hinein. Naomi zog die Haustür zu, schloss sie ab und legte die Kette vor. »Lori hat aus LA angerufen.«
John hörte lautes Lachen aus dem Fernseher
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