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Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:

Titel: Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Gerhardsen
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Schließlich nahm sie ihn einfach in den Arm und versuchte den kleinen Körper ganz mit ihrem eigenen zu umschließen. Die Tränen kullerten ihr die Wangen hinunter, als die Rettungssanitäter endlich eintrafen.
    *
    Ewa Tuominen war erschöpft. Eine Kollegin war krank geworden, sodass sie Doppelschichten arbeiten musste und mittlerweile mehr als eine Stunde hinter ihrem Plan zurücklag. Sie putzte seit neun Jahren auf der Viking Amorella und hatte schon viel gesehen, trotzdem seufzte sie laut, als sie die Tür öffnete und die Schweinerei in der Toilette erblickte. Zu allem Überfluss lag dort auch noch ein junges Mädchen und schlief mitten in dem ganzen Chaos, noch dazu in einer sehr unbequemen Haltung. Zwischen Jeans und Lederjacke schaute ein Stück nackter Haut hervor. Sie sollte hier nicht liegen, jeder könnte über sie herfallen.
    Im selben Augenblick, als Ewa dem leblosen Wesen einen leichten Tritt gegen den Fuß verpasste, wurde ihr klar, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Die Körperhaltung war unnatürlich. Nicht einmal der betrunkenste Mensch könnte in einer solchen Position einschlafen. Das Mädchen reagierte nicht auf die Berührung. Panik ergriff sie, ihr Herz fing an zu rasen, und sie hielt einige Sekunden lang die Hand vor den Mund, während ihr Gehirn fieberhaft arbeitete. Dann beschloss sie, direkt den Arzt zu rufen und nicht erst zu versuchen, den Puls des Mädchens zu fühlen. Sie trat ein paar Schritte nach hinten, ging zurück in die Besenkammer und rief mit ihrem Handy die Notfallnummer des Schiffsarztes an.
    Doktor Magnusson, der kurz darauf eintraf, konnte nur noch den Tod des Mädchens feststellen. Als er sie umdrehte und die Würgemale erblickte, die sich am Hals ausformten, entschied er, das Mädchen nicht vom Ort des Geschehens wegzubewegen. Hier handelte es sich zweifellos um einen Fall für die Polizei. Er wies Ewa Tuominen an, das Badezimmer abzuschließen, und nahm Kontakt zur Brücke auf. In einer Stunde würden sie in Åbo anlegen.
    *
    Die ganze Nacht hatte Hanna auf dem Boden im Flur verbracht. Einmal war sie aufgewacht, und da tat ihr Kopf weh, und die Wunde auf der Wange brannte. Im Mund fühlte sich alles wund und geschwollen an. Der Fußboden, auf dem sie lag, war so kalt, dass sie zitterte. Sie brachte nicht genug Kraft auf, um aufzustehen und in ihr schönes, warmes Bett zu gehen, aber sie schaffte es, das kurze Stück zum Teppich hinüberzukrabbeln. Dort blieb sie in der einzigen Haltung liegen, in der es noch auszuhalten war. Als sie früh am Morgen erwachte, lag sie in Embryonalstellung auf dem Teppich, mit der gesunden Wange nach unten und dem Kinn auf den geballten Händen.
    Die verbrannte Hand tastete vorsichtig die Wange ab, die von geronnenem Blut bedeckt war. Als sie die eigentliche Wunde berührte, zuckte sie vor Schmerz zusammen und zog die Hand zurück. Aber sie weinte nicht. Sie kniff die Augen zu und biss fest die Zähne zusammen, wie man es tun sollte, wenn es schlimm wurde. »Da muss man eben die Zähne zusammenbeißen«, sagte Mama immer, wenn Hanna weinte. Also tat sie es jetzt. Zum ersten Mal. Obwohl es eigentlich schon zu spät war. Aber es hatte ja keinen Zweck zu weinen, wenn niemand da war, der einen trösten konnte. Ihr Mund und ihre Hand taten so furchtbar weh, aber verglichen mit der Wunde an der Wange und den schrecklichen Kopfschmerzen war es fast gar nichts.
    Was sollte sie jetzt tun? Jetzt waren schon ganz viele Tage vergangen. Würde Papa nicht bald nach Hause kommen? Oder wusste er, dass Mama und Lukas ausgezogen waren? Wohnte er jetzt vielleicht bei ihnen? Aber Papa hatte Hanna doch ganz schrecklich lieb, trotz allem. Papa war nicht so streng wie Mama, und er spielte oft mit ihr, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kam und Mama sich nur um Lukas kümmerte. Doch, Papa würde zu Hanna nach Hause kommen, wenn er aus Japan zurückkehrte.
    Fast ohne dass sie es bemerkte, war ihr Kacka auf dem Teppich gelandet. Sie musste anfangen, darauf zu achten, und stattdessen auf die Toilette gehen. Mama hatte es schon so oft gesagt, aber irgendwie war nie etwas daraus geworden. Die ganze Zeit gab es so viele andere Dinge zu erledigen. Jetzt musste sie aufstehen und alles wegmachen, bevor Papa nach Hause kam. Musste vergessen, wie weh es überall tat und hinter sich saubermachen. Mühsam kam sie auf die Beine, und ihr fiel das vollgepinkelte Nachthemd ein. Sie wackelte ins Badezimmer, zog das Nachthemd aus dem Wäschekorb und ging in den Flur

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