Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
Tüte zer rissen war, über feuchtfröhliche Abende in Gaststätten und Spaziergänge Hand in Hand. Aber bald erreichte er das graue Vakuum, das auf die ersten stürmischen Wochen mit Jennifer folgte.
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte Sjöberg rhetorisch. »Ich glaube, dass Jennifer deine erste Freundin war, stimmt’s?«
»Ja«, antwortete Jocke leise, ohne es zu wagen, dem Kommissar dabei in die Augen zu schauen.
*
Sjöberg hatte beobachtet, wie es in den Augen des Jungen zu leuchten begann, als er über die Anfangszeit mit Jennifer berichtete. Er hatte ihn in immer tieferes Wasser gelotst und spürte jetzt, wie er weicher wurde, je mehr ihm die Wahrheit bewusst wurde. Der Junge war vierundzwanzig Jahre alt und hatte noch nie eine Freundin gehabt. Angesichts dessen war es viel leichter zu verstehen, dass es ihm so schwerfiel, seine Beziehung zu Jennifer zu beschreiben. Joakim Andersson hatte keinen Vergleich, ihm fehlte der Maßstab, anhand dessen er seine Erlebnisse bewerten konnte.
Sjöberg konnte sich vorstellen, wie das Mädchen diesen unerfahrenen, unsicheren jungen Mann immer mehr durchschaut hatte. Vierundzwanzig Jahre klang gut für eine routinierte Sechzehnjährige, aber unter der harten Schale, hinter dem Bart und der Sonnenbrille, die er mittlerweile in die Stirn geschoben hatte, hatte sie etwas ganz anderes entdeckt, das ihr langsam lästig wurde. Was sie dahinter erahnte, war vielleicht schön und zart, aber was sie brauchte, war Widerstand, jemand, der in seinem Inneren genauso groß und stark war, wie er an der Oberfläche aussah.
»Dafür muss man sich nicht schämen«, sagte Sjöberg in einem Versuch, seine bis dahin etwas harte Gangart abzumildern. »Irgendwann ist es für uns alle das erste Mal gewesen. Aber jetzt möchte ich, dass du mir berichtest, was du getan hast – bis ins letzte Detail –, nachdem du am Freitagmorgen aufgestanden bist und bis die Polizei gestern Morgen bei dir an die Kabinentür klopfte.«
»Am Freitagmorgen?«
Joakim machte ein fragendes Gesicht.
»Was hat denn der Freitag damit zu tun?«
»Das entscheide ich. Jetzt lass hören.«
»Am Morgen habe ich Zeitungen ausgetragen. Ich habe von vier bis acht gearbeitet. Danach war ich den ganzen Tag zu Hause. Es ist nichts Besonderes passiert.«
»Zeitungen austragen – ist das deine Arbeit?«
»Ja.«
»Wie oft machst du das?«
»Nur ein paar Tage in der Woche.«
»Da kommt aber nicht besonders viel zusammen. Wovon lebst du denn?«
»Ich wohne zu Hause. Ich brauche nicht besonders viel Geld.«
»Und womit verbringst du dann den Rest deiner Zeit?«
»Meistens bin ich zu Hause«, antwortete er nur, aber Sjöberg schaute ihn auffordernd an.
»Ich pflege meine Mutter«, bekam er schließlich heraus. »Sie ist krank.«
»Das tut mir leid. Was hat sie denn?«
Er fragte, weil er sich ein Bild von Joakim Anderssons Leben machen wollte, wie es bei ihm zu Hause aussah, die Familienverhältnisse. Er wollte die dunklen Ecken beleuchten, Geheimnisse ausgraben, in seine Privatsphäre eindringen.
»Sie ist behindert«, antwortete Joakim mit allzu lauter Stimme. »Körperlich behindert. Sie kann nicht gehen.«
Er spuckte die Worte aus, mit einem regelrecht triumphierenden Gesichtsausdruck – unerwartete Wut, vielleicht fühlte er sich gekränkt? Wie ein Kind, das flucht, dachte Sjöberg, das alle Schimpfwörter ausspuckt, die es kennt, und dem die Angst vor Repressalien aus den Augen leuchtet. Der junge Mann ihm gegenüber hatte gerade etwas Verbotenes gesagt, etwas, das er niemals aussprach, das er vielleicht nicht erzählen durfte. Er hatte ein Familiengeheimnis gelüftet.
»Oje«, sagte Sjöberg und versuchte, sachlich und neutral zu klingen. »Das muss ja schlimm für sie sein. Bekommt sie denn die Pflege, die sie braucht?«
»Ich kümmere mich um sie, das hab ich doch schon gesagt.«
»Und dein Vater, was macht der?«
»Er arbeitet in der Bank. Die Swedbank in Farsta.«
»Teilt ihr euch die Pflege deiner Mutter, oder machst du das meiste alleine?«
»Papa gibt ihr Essen, wenn ich nicht zu Hause bin. Ansonsten kümmere ich mich um sie.«
»Aha, du warst also tagsüber den ganzen Freitag zu Hause und hast dich um deine Mutter gekümmert. Und was war am Abend?«
»Ich war mit Jennifer verabredet, aber daraus war nichts geworden.«
»Und warum nicht?«
»Papa hat mich nicht gehen lassen. Er hat sie nicht gemocht.«
»Waren sie sich schon einmal begegnet?«
»Nein, aber er hielt nichts davon, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher