Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
wirkte.
»Du brauchst sie ja nicht unbedingt …«, flehte Joakim, aber Sjöberg überwand sein Mitgefühl und ließ sich stattdessen von seiner Neugier leiten.
Er drückte die Klinke hinunter und öffnete die Tür, fest entschlossen, seine Reaktion verborgen zu halten.
Das kleine Zimmer wurde komplett von einem Doppelbett beansprucht. An der Wand vor dem Fußende des Bettes war ein Fernseher verankert. Das Bett wurde von einer Frau ausgefüllt, die in einem enormen, hellblauen, kittel ähnlichen Kleidungsstück steckte. Die Beine der Frau waren unbekleidet, und die gigantischen Stämme führten zu einem gigantischen Körper, der jedes Maß sprengte. Mächtige Fettrollen stapelten sich übereinander und wälzten sich in alle Richtungen. Der Kopf war ein kolossaler Kürbis ohne Hals und ihre Haut trocken, rissig und schorfig.
Sjöberg hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Das war kein Mensch, sondern ein Monster, das vor ihm auf dem Bett lag. Mitten in diesem riesigen Kopf lag ein kleines Gesicht, mit Mund, Nase und zwei kleinen, eingesunkenen Augen, die ihn erschrocken betrachteten. Ganz wie er es sich vorgenommen hatte, gelang es Sjöberg, seine unmittelbare Reaktion, Entsetzen und Ekel, zu verbergen, obwohl er sich niemals hätte vorstellen können, was ihn hinter dieser Tür erwartet hatte. Er schenkte der Frau ein freundliches Lächeln und stellte sich mit übertriebener Munterkeit vor:
»Schönen guten Tag. Conny Sjöberg mein Name. Von der Hammarby-Polizei.«
Sie sah nach wie vor verängstigt aus, antwortete aber mit einer unerwartet hellen und schönen Stimme:
»Guten Tag.«
Sjöberg wusste nicht, was er sagen sollte. Er überlegte erst, ob er ein paar Höflichkeitsfloskeln mit ihr wechseln sollte, aber nach ein paar Sekunden des Zögerns gewann die Amtsperson in ihm die Oberhand.
»Sie sehen aus, als bräuchten Sie professionelle Pflege. Kümmert Joakim sich um Sie?«
»Ja, und er macht das wirklich gut. Wir kommen gut zurecht.«
»Sehen Sie manchmal einen Arzt?«
»Na ja, ich bin im Grunde ja nicht krank …«
Ihr Blick wanderte von dem furchterregenden Fremden zu ihrem Sohn.
»Warum hast du die Polizei geholt?«, wollte sie von ihm wissen, aber Sjöberg antwortete an Joakims Stelle.
»Es ist eine reine Routineangelegenheit. Das hat gar nichts mit Ihnen zu tun. Ich bin hier, weil ich in einem Mordfall ermittle. Eine Bekannte von Joakim ist ermordet worden. Wissen Sie nichts davon?«
»Nein«, antwortete sie erstaunt und schaute Joakim an, als erwarte sie eine Erklärung von ihm.
Die Frau verbrachte ihr Leben in diesem Bett, Gott weiß seit wie vielen Jahren. Abgeschottet von der Welt da draußen, von jeder Verantwortung entbunden, glücklich ahnungslos von all dem, was außerhalb ihres Schlafzimmers passierte.
»So kann das mit Ihnen nicht weitergehen«, entschied Sjöberg. »Das ist nicht zu verantworten. Sie brauchen ärztliche Betreuung. So können Sie hier nicht liegen, das geht nicht. Bei Ihrem Zustand kann Joakim nicht ganz allein die Verantwortung für Sie tragen. Er ist für so etwas nicht ausgebildet. Er ist vierundzwanzig Jahre alt und hat sein ganzes Leben noch vor sich. Ich werde das Sozialamt informieren. Dazu bin ich verpflichtet.«
»Aber was werden die Leute sagen …«, war das Einzige, was sie darauf erwiderte.
Wie er diesen Satz verabscheute. Diese Worte, die das Leben so vieler Menschen in diesem Land steuerten. Er war drauf und dran ihr zu sagen, dass sie sich das früher hätte überlegen sollen. Aber was wusste er schon darüber, was sie in dieses Zimmer geführt hatte? Vielleicht war es für sie ein Ausweg gewesen, dachte Sjöberg. Eine Möglichkeit, sich den Ansprüchen zu entziehen, die das Leben ihr abverlangte. Vielleicht hatte sie sich die Misshandlungen ihres Sohnes durch ihren Mann aus dem Bewusstsein gegessen, hatte sich weggegessen von den Mühseligkeiten des Lebens und hinein in diesen Winkel der Welt, der ihr ganz alleine gehörte. Ein Kabäuschen, in das nur sie hineinpasste, in dem für sie gesorgt wurde, ohne dass sie sich sorgen musste, ein Ort, an dem sie böse Worte und Anklagen nicht erreichten. Aus ihr war ein Familiengeheimnis geworden, ein Schandfleck, der vor der Welt verborgen werden musste. Aber im Grunde, dachte Sjöberg, war sie ein Monument. Ein Monument der Geheimnisse in dieser Familie.
Er wandte sich Joakim zu, der hinter ihm im Flur stand und auf seine Füße starrte.
»Kommen wir zu den Fragen …«, sagte er, aber dann sah
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