Nur Der Tod Kann Dich Retten
beschlossen: Ian sollte am Donnerstag, Tim am Freitag und Sandy am Samstag gehen, sodass bei jeder Vorstellung ein Mitglied der Familie Megan die Daumen drücken würde, und alle wären glücklich.
Klar.
Es war eine dieser Ideen, die in der Theorie wunderbar klangen. Leider war es wie bei so vielen guten Ideen nicht wie geplant gelaufen. Eine Stunde, bevor sich am Donnerstagabend der Vorhang hob, hatte Rose Cruikshank über Brustschmerzen geklagt, sodass Ian und Kerri sie in ein Krankenhaus in Fort Lauderdale bringen mussten, wo sie untersucht und wieder entlassen worden war. Heute fühlte sie sich offensichtlich besser, obwohl sie wild entschlossen schien, allen anderen den Abend zu vermiesen.
»Wir hören zu Hause weiß Gott schon genug von dem grässlichen Gejaule«, nörgelte sie.
»Hör auf, Mutter«, tadelte Kerri sie lahm. »Delilah hat eine wunderschöne Stimme, und das weißt du auch.«
»Und warum singst sie dann immer nur im Chor? Warum spielt sie nicht eine der Hauptrollen?«
Diese von einem lauten Schnauben begleitete Frage blieb unbeantwortet, obwohl jedermann in Hörweite die richtige Erwiderung stumm parat hatte. Delilah war ganz einfach nicht der Stoff, aus dem man Hauptdarstellerinnen machte. Und das lag nicht nur an ihrem Umfang, dachte Sandy. Es war etwas anderes. Das Mädchen war viel zu zugänglich und harmlos. Wie ein zu groß geratener junger Hund wollte sie einfach zu sehr gefallen. Sie hätte die großartigste Singstimme der Welt haben können und wäre trotzdem nie der Star der Show. Im günstigsten Fall wäre sie sein übergewichtiger klugscheißender Sidekick. Es waren die Megans dieser Welt, die leicht reservierten, langbeinigen Schönheiten, deren hübsches Gesicht eine Tiefe andeutete, die vielleicht gar nicht vorhanden war, und deren Stimme nicht mehr als gefällig klang, die immer als Hauptdarstellerinnen brillieren würden. Auf der Bühne und im Leben.
Es war nicht gerecht, aber was war schon gerecht?
War es gerecht, dass ihr Mann sie für eine hohle Tittentussi verlassen und die aufgedonnerte falsche Blondine auch noch zur Theateraufführung der Schule mitgebracht hatte – der Schule, in der sie unterrichtete, sodass es überwiegend Kollegen und Schüler waren, die Zeugen ihrer Demütigung wurden? Warum hatte Ian für sein atemberaubendes Debüt mit Kerri Franklin ausgerechnet den Abend der letzten Aufführung ihrer Tochter wählen müssen? Alle wussten, dass sie ein Paar waren. Musste er es ihr unbedingt unter die Nase reiben?
»Sieh dich um und sag mir ehrlich«, forderte Rita sie auf, »willst du ihn wirklich wiederhaben?«
Sandy drehte sich um und ließ ihren Blick über die Reihen schweifen, als hielte sie nach jemandem Ausschau. Sie sah die McGoverns, die Perchaks, die Arlingtons und die Falcos. Sie entdeckte John Weber und seine Frau Pauline. Und sie sah Ian, der es sich drei Reihen hinter ihr bequem gemacht hatte, der Welt dämlichstes Grinsen in seinem attraktiven Gesicht,
während Kerri sich zu ihm beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Sie sah ihn lachen und mit der Hand nach Kerris Knie greifen. Dann blickte er auf, fühlte sich von Sandy ertappt, winkte ihr mit der freien Hand zu und nickte.
Gütiger Gott, er hatte tatsächlich gewinkt. Als ob sie nicht mehr als eine flüchtige Bekannte oder Patientin wäre, der er außerhalb der Praxis begegnete. Er besaß nicht mal den Anstand, seine Hand von Kerris Knie zu nehmen. Er war wirklich ein... spezieller Fall, korrigierte Sandy sich stumm.
»Und?«, fragte Rita, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.
Sandy schloss die Augen und sagte nichts, weil sie begriff, dass ihre Demütigung komplett war. Denn die Antwort auf Ritas Frage lautete Ja. Sie wollte ihn noch immer zurück.
»Fängt die Vorstellung auch irgendwann an?«, knurrte Rose plötzlich. »Was ist denn los?«
Sandy sah auf die Uhr. Es war fast zehn nach acht. Sie fragte sich, ob es ein Problem gegeben hatte, und erinnerte sich dann daran, dass Megan ihr erzählt hatte, dass Mr. Lipsman die Vorstellung gern ein paar Minuten zu spät beginnen ließ, weil das auf dem Broadway so üblich war. Megan hatte ihr auch erzählt, dass man ihren geschätzten Regisseur für die Dauer der gesamten Vorstellung auf dem Flur vor der Aula auf und ab laufen sehen konnte, wenn er nicht gerade auf der Toilette gegenüber war, um sich zu übergeben. Sandy war versucht, ihm Gesellschaft zu leisten.
Plötzlich erhob sich in den hinteren Reihen ein lautes Pfeifen. Sandy
Weitere Kostenlose Bücher