Nur der Tod sühnt deine Schuld
Flammen aufzugehen.
»Du siehst umwerfend aus«, sagte er.
»Sie haben sich aber auch ganz schön in Schale geworfen, Dr.Grey«, erwiderte sie. Statt der üblichen Jeans trug er eine marineblaue Hose, die aussah, als sei sie für seine langen Beine und schmalen Hüften geschneidert worden. Das hellblaue Hemd ließ seine Augen noch blauer strahlen und betonte seinen Brustkorb.
»Wie war dein Tag?«, fragte er, als sie im Wagen saßen.
»Ganz in Ordnung. Übrigens, die Telefongesellschaft wird mir bis Montag eine Anrufererkennung einrichten.«
»Hast du mittlerweile eine Idee, wer die Anrufe gemacht haben könnte?«
»Ich grübele die ganze Zeit darüber nach. Vielleicht der unheimliche Nachbar von gegenüber? Oder der Junge, der meinen Rasen mäht? Kennst du dich eigentlich mit Teenagern aus?«
Greys Finger krampften sich um das Lenkrad, und seine Kiefermuskeln verspannten sich. »Was willst du wissen?«
Was Haley im Moment wissen wollte, war, warum ihre Frage ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Die Atmosphäre im Wagen hatte sich schlagartig verändert. Grey wirkte angespannt, und Haley hätte ihn gern gefragt, was ihm gerade durch den Kopf ging, tat es aber nicht.
»Wäre ein Heranwachsender in der Lage, meine Schwester brutal zu ermorden und mir dann anzubieten, meinen Rasen zu mähen und andere lästige Arbeiten für mich zu übernehmen, als wäre nichts geschehen?«
Grey lockerte den eisernen Griff, mit dem er das Lenkrad umfasst hatte. »Natürlich, denkbar ist alles. Jungs in dem Alter sind voller Testosteron. Ein plötzlicher Wutausbruch ist immer möglich, genauso wie ein Anfall von Depression. Du schaust dir doch die Nachrichten an, Haley. Früher gab es selten Mörder im Teenager-Alter, doch das hat sich geändert. Kinder bringen nicht nur andere Kinder um, sondern auch ihre Eltern, ihre Großeltern und sich selbst.«
»Schon möglich, dass er ein bisschen in mich verknallt ist«, sagte sie, als sie sich an ihre letzte Unterhaltung mit Dean erinnerte.
»Halt dich von ihm fern, Haley. Ich kann dir nicht sagen, ob er gefährlich ist, aber ich weiß definitiv, dass Jungs in dem Alter unberechenbar sein können. Sie verwechseln leicht Liebe und Hass miteinander und haben oft nicht die nötige Selbstbeherrschung, um ihre verrücktspielenden Hormone unter Kontrolle zu bekommen.«
Grey bog in eine schicke Apartmentanlage ein und parkte vor einem der Gebäude. »Hast du hier mit deiner Frau gewohnt?«, fragte Haley neugierig.
»Nein, die Wohnung habe ich nach der Scheidung gekauft.« Er schaltete den Motor aus. »Als meine Praxis anfing, richtig gutzugehen, sind Sarah und ich in ein großes Haus in Kansas City gezogen.« Er öffnete den Gurt, machte aber keine Anstalten auszusteigen.
»Sarah liebte materielle Dinge. Es gefiel ihr, in einer wohlhabenden Gegend zu wohnen. Sie hat sich in der Nachbarschaft engagiert und die meiste Zeit damit zugebracht, unser Haus einzurichten. Irgendetwas gab es immer zu tun. Sie war eine Perfektionistin.«
»Vermisst du das Haus? Den ganzen Lebensstil?«, fragte Haley.
»Kein bisschen. Ich war ja fast nie da, um es zu genießen. Ich habe zehn bis zwölf Stunden täglich gearbeitet, um das alles zu bezahlen. Außerdem, es gibt Wichtigeres im Leben als materielle Dinge, aber ich glaube, das weißt du selbst.« Mit diesen Worten öffnete er die Autotür und stieg aus. Haley stieg ebenfalls aus, und sie gingen schweigend zu seiner Wohnung. Er schloss auf, öffnete die Tür und ließ Haley den Vortritt.
Sie war neugierig gewesen zu sehen, wo und wie er wohnte. Das Apartment hatte eindeutig etwas Maskulines. Neben dem schwarzbraunen, dickgepolsterten Sofa standen kleine Rauchglastische. Eine schwere Wohnkombination aus dunklem Holz nahm eine ganze Wand ein, die Borde links und rechts vom Fernseher waren mit Büchern vollgestellt.
»Hübsch«, sagte sie.
»Komm, ich zeige dir den Rest.«
Er führte sie durch den Flur zu einem großzügigen Gästebad. Das erste Schlafzimmer war zu einem Büro umfunktioniert worden mit einem Schreibtisch und Aktenschränken.
Im zweiten Schlafzimmer stand ein großes Bett, bedeckt mit einem marineblauen Überwurf, auf dem weiße und marineblaue Kissen lagen. Auch hier waren die Möbel maskulin, schwer und dunkel. Vom Schlafzimmer ging es in ein Bad, das ebenfalls in Marineblau gehalten war.
»Und jetzt gehen wir in die Küche, und ich versuche, dich mit meinen Kochkünsten vom Hocker zu reißen.«
Grey hatte nicht zu viel versprochen.
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