Nur die Küsse zählen
etwas schon einmal gemacht?“, fragte er und schaute sich um.
„Nein.“
Niemals. Nicht einmal in ihren Träumen.
Gemächlich glitt die Gondel über den sich dahinschlängelnden Kanal. Menschen blieben stehen und winkten. Musik hallte von der Decke wider und umfing sie von allen Seiten. Aurelia sah Geschäfte, deren Namen sie bisher nur aus Zeitschriften kannte. Alles an diesem Augenblick war perfekt.
Dann legte Stephen ihr den Arm um die Schultern, und alles wurde noch viel besser.
Als sie um eine Kurve bogen, wartete ein Mann mit einer Kamera auf sie. Er bat sie zu lächeln und machte dann ein Foto. Als die Fahrt vorüber war, konnten sie sich das Ergebnis auf einem Bildschirm anschauen.
„Du bist wunderschön“, sagte Stephen.
Aurelia wusste, dass er nur nett war, trotzdem war sie mit dem Foto zufrieden. Sie schauten beide in die Kamera und lächelten aufrichtig. Ihr fiel auf, dass sie sich beide ein wenig zueinander hinübergelehnt hatten und schon sehr wie ein Pärchen aussahen. Zumindest wenn man den Altersunterschied ignorierte.
„Wir nehmen zwei“, erklärte Stephen und bezahlte auch gleich.
„Ich sollte sie bezahlen.“
„Warum?“
Weil sie mehr verdiente als er. Weil er noch auf dem College und das hier kein Date war. Doch keinen dieser Gedanken wollte sie laut aussprechen, also sagte sie einfach nur „Danke“, als er ihr die dünne Tüte reichte, in der das Bild samt Papprahmen steckte.
„Hast du jetzt Hunger?“ Stephen zeigte auf eines der Restaurants, die sich hier draußen befanden.
„Ja.“
„Gut. Ich auch.“
Es war später Nachmittag und somit nicht viel los. Sie wurden zu einem kleinen Tisch in einer Ecke neben einer großen Grünpflanze geführt. Obwohl alles offen war, fühlte Aurelia sich auf dem Platz geborgen. Es war fast intim.
Der Kellner reichte ihnen die Speisekarten. Obwohl Aurelia hungrig war, konnte sie sich nicht vorstellen, etwas zu essen. Sie entschied sich für einen Salat und einen Eistee. Stephen nahm eine Pizza und eine Cola.
„Du weißt inzwischen, warum ich mich entschieden habe, bei der Show mitzumachen“, sagte sie. „Aber was hat dich dazu getrieben?“
Seufzend nahm er seine Gabel in die Hand und drehte sie zwischen den Fingern hin und her. „Das hat viele Gründe. Ich wollte aus South Salmon raus, und die Sendung war eine gute Gelegenheit.“
„Eine gute Gelegenheit? Du hast das College im letzten Semester aufgegeben. Inwiefern ist das gut?“
Stephen verdrehte die Augen, aber Aurelia blieb hartnäckig.
„Einen Abschluss zu haben kann nie schaden. Was willst du machen, wenn die Show vorbei ist?“
Stephen legte die Gabel beiseite und beugte sich vor. „Ich will nicht fliegen.“
„Wie meinst du das? Willst du mit dem Auto zurück nach Alaska fahren?“
Er lachte. „Nein, ich meine, ich will kein Pilot werden wie mein Bruder. Ich will nicht in das Familiengeschäft einsteigen.“
„Oh.“ Mit Familienerwartungen kannte sie sich aus. Trotz der Tatsache, dass sie fast dreißig war, war es ihr nie gelungen, ihre Mutter ein einziges Mal zufriedenzustellen. „Erwartet Finn, dass du in die Firma einsteigst?“
„Das versteht sich von selbst.“
„Hast du ihm gesagt, wie du darüber denkst?“
„Nein. Das wäre ihm ja auch egal.“
Aurelia schüttelte den Kopf. „Du sprichst über einen Mann, der einige Tausend Meilen weit geflogen ist, um sicherzugehen, dass es dir und deinem Bruder gut geht. Ich glaube, ihm liegt sehr viel an euch.“
„Das ist etwas anderes. Er will, dass ich nach Hause komme, damit er mich kontrollieren kann. Würde ich ihm sagen, dass ich Ingenieur werden möchte, würde er mit mir auf tausend Fuß fliegen und mich dort oben aus dem Flugzeug stoßen.“
„Du klingst wie ein Kind.“
„Hey!“ Er richtete sich auf. „Wie kannst du so etwas sagen?“
„Sieh dir doch an, wie du dich verhältst. Du traust dich nicht, dich mit Finn hinzusetzen und zu reden. Stattdessen läufst du einfach davon. Wie erwachsen ist das bitte?“
„Du solltest auf meiner Seite sein!“
„Ich bin eine unbeteiligte Dritte.“ Nun ja, „unbeteiligt“ war vielleicht nicht das richtige Wort. Ihr war es peinlich, aber sie interessierte sich mehr als nur ein kleines bisschen für Stephen. Warum konnte er nicht dreißig anstatt zwanzig sein? Das Karma konnte manchmal wirklich gemein sein.
„Außerdem“, fuhr sie fort, „weiß er dein Hauptfach doch sowieso schon, wenn du nur noch ein Semester von deinem Abschluss
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