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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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wüsstest, wie ein Rehbraten zu riechen hat. Ich hab’ in >Redlichs Hotel< in meinem ganzen Leben noch kein Wild auf der Speisekarte gesehen.«
    »Wir geben eben gut Acht, dass wir keine Böcke schießen.«
    Der Dialog auf der Heimfahrt hatte zu einem Ehekrach von zwei Tagen und einem gelben Seidenschal mit blauen Blumen als Versöhnungsgeschenk für Jettel geführt. Der Streit fiel Walter ein, als der Zug am Brenner stand. Zum Glück entschlüpfte seinem Gedächtnis rechtzeitig genug jener Teil der Geschichte, der seinen Körper beunruhigt hätte. Eine Frau mit einem kleinen Mädchen klopfte energisch an die Tür vom Abteil, und ehe Gre-schek dazu kam, eine abwehrende Bewegung zu machen oder hustend eine ansteckende Krankheit anzudeuten, setzte sie sich, einen Korb mit Weinflaschen zwischen ihren Beinen.
    Ihre stämmige Tochter hatte lange haselnussbraune Zöpfe und den Apfelteint von Bauernkindern. Sie mochte in Reginas Alter sein und schien ebenso schüchtern. Der jungen Mutter schmeichelte es, dass der feine Herr, der selbst morgens um halb vier mit akkurat gebundener Krawatte und frisch gekämmtem Haar in der Eisenbahn saß, ihr zulächelte. Sie erwiderte seine Freundlichkeit. Walter bestaunte die kobaltblaue Schürze mit den aufgestickten Alpenrosen auf dem Latz, die über einen dunkelgrünen Trägerrock gebunden war. Noch mehr bewunderte er den dicken blonden Zopfkranz um ihren Kopf.
    Die Haarpracht, die hellblauen Augen und vor allem der wogende Busen erinnerten ihn an die Dienstmädchen seiner Großmutter. An ein besonderes, die Josefa. Für einen erwärmenden Moment, der diesmal gerade seinen Körper nicht verschonte, vergaß er Zweck und Ziel seiner Reise. Seine neue Reisegenossin wurde außer von ihrer Tochter, die auffallend ruhig war, auch von einem auffallend unruhigen Huhn begleitet.
    Die kräftige Anführerin des ungleichen Trios machte einige gutturale Laute und legte ihre fleischigen Hände um den Hals des gackernden Huhns. Es wurde auf der Stelle still. Walter schloss entsetzt die Augen. Es verstörte ihn sehr, dass der Mensch - und dazu noch eine Frau -es vermochte, die Kreatur so schnell und so lautlos zu morden. Es war seinem Gerechtigkeitssinn zuwider, dass es einem Huhn verwehrt wurde, in seiner Muttersprache gegen eine Fahrt in der Eisenbahn zu protestieren. Als Walter, noch immer von der totalen Stille verunsichert, die Augen wieder aufmachte, schlief Greschek mit offenem Mund, das kleine Mädchen nuckelte an seinem Daumen, und das Huhn lag, augenscheinlich zufrieden, in der Armbeuge der Frau. Die entdeckte ein Männerinteresse in Walters Augen, von dem sie seit der Geburt ihres vierten Kindes vergessen hatte, dass es überhaupt existierte. Die Animierte sagte einige Worte. Walter verstand kein einziges. Er schüttelte den Kopf und machte eine Bewegung mit den Händen, die ihn unangenehm an den Dorftrottel von Sohrau erinnerte, der sich immer die Ohren zugehalten hatte, wenn er nichts verstand.
    Es dauerte mindestens zwei Minuten, ehe sich Walter erinnerte, dass seit dem Versailler Vertrag Südtirol nicht mehr zu Österreich gehörte und dass Italien seitdem bereits am Brenner begann. Walter hatte das immer bedauert und bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Verlust einer alten Kultur und Volkstradition beklagt. Seine Verlegenheit steigerte sich. Um der liebenswürdigen Hühnerbezwingerin wenigstens im Ansatz zu signalisieren, dass er nicht Italienisch sprach, forschte er in seinem Gedächtnis nach entsprechenden Lateinvokabeln, von denen er annahm, auch Italiener würden sie verstehen. Allerdings erkannte er rasch, dass Oberstudienrat Gla-disch seine Schüler in keiner Beziehung auf die Erfordernisse einer Emigration vorbereitet hatte. Nachts um vier und nach durchgestandenen Ängsten, von denen er fand, sie hätten gereicht, um ganzen Kohorten römischer Legionäre den Kampfesmut zu nehmen, konnte sich der ehemalige Schüler der Fürstenschule zu Pless nur noch an Caesar und seine gallischen Kriege erinnern. Der Gedanke an das Schloss in Pless, an die schöne Burg und an ein Mädchen namens Rosemarie, das sich dort nicht von ihm hatte küssen lassen, brachte Walter zur Räson. Er rieb seine Stirn trocken. Eine Weile überlegte er, weshalb seine Eltern ihn in Pless zur Schule geschickt hatten, und ob er dort überhaupt irgendetwas für das Leben gelernt hatte.
    »Sie hat Sie gefragt, wo Sie hinfahren«, grunzte Greschek aus der Höhle seines Mantels.
    »Seit wann sprechen Sie denn

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