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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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geschrieben stand, und als Mutter von vier Kindern wusste sie gut Bescheid über Trauer, Angst und Schmerz.
    »Donnerwetter, Herr Doktor. Sie haben ein Glück bei den Frauen.«
    »Deswegen habe ich ja auch eine abbekommen, die sich zur Auswanderung nach Afrika einen Pelzhut kauft.« »Lassen Sie’s nur gut sein. Die Frau Doktor wird schneller lernen, als Sie glauben. Sie ist eine Schlaue. Das sagt meine Grete auch. Die Schlauen lassen sich nicht so schnell unterbuttern vom Leben. Besonders die Frauen nicht.«
    »Schade, dass Grete mich das nicht beizeiten hat wissen lassen«, sagte Walter.
    Er wollte aufstehen, auf dem Bahnsteig eine seiner letzten deutschen Zigaretten rauchen und versuchen, Circe wenigstens noch einmal von hinten zu sehen, doch dieses Mal war es der Körper, der Einspruch einlegte. Im rechten Bein hatte Walter einen Wadenkrampf, die Füße schienen aus den Schuhen zu quellen, stechender Schmerz zog durch beide Hüften. Sein Nacken war steif. Entsetzt ließ er sich zurück auf die Holzbank fallen, blätterte hektisch in der Chronik des Geschehenen, ließ keine Stunde aus, keine Minute der Angst. Es war nun mehr als einen Tag und eine Nacht her, seitdem er auf dem Breslauer Hauptbahnhof gestanden hatte. Seitdem Jettel, Regina, Ina und Käthe ihn verlassen hatten, hatte er kaum geschlafen, weder Kopf noch Körper eine Fluchtpause gegönnt. Verkrampft hatte er auf einer Holzbank gesessen und mehr gegessen und vor allem getrunken, als er vertrug - und intensiver nach hinten geschaut, als ein Mann durfte, der zu vergessen hatte, wer er gewesen war und woher er kam. Heini Wolf hatte recht. Wer auf einer solchen Reise seine Kräfte nicht einteilte, den ließen die Götter stranden.
    »Dabei hat der gute Heini ja noch gar keine Ahnung vom Auswandern. Können Sie sich vorstellen, Greschek, dass ein Mann zu seinem Vergnügen nach Genua fährt. Oder aus Jux nach Afrika?«
    »Warum schlafen Sie nicht ein bisschen? Ihre Nerven brauchen Ruhe. Meine Mutter hat immer gesagt, Schlaf ist Gottes Kraut.«
    »Und meine hat gesagt, nur Faulenzer schlafen bei Tag.« »Als Ihre Frau Mutter das gesagt hat, war Ordnung auf der Welt.«
    Die Müdigkeit wurde aggressiv, die Bilder, die Walter kamen, waren aber weich gezeichnet und barmherzig unklar. Sie flogen auf einer Schaukel zur Sonne. »Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt«, rezitierte der, zu dem der Schlaf nicht kam.
    »Es muss schön sein, wenn man so schön dichten kann wie Sie«, fand Greschek. »Schade, dass Sie damit kein Geld verdienen können.«
    »Ich kann nicht dichten. Das war Eichendorff. Er ist einer von uns, nur adelig und schon tot. Sehen Sie, ich hab doch was in der Schule gelernt, wenn auch nichts fürs Leben.«
    Der Zug fuhr aus Bozen hinaus. Der Mann mit der grünen Schürze und dem hohen Wagen stand immer noch auf dem Bahnsteig. Die Orangen gaukelten den Vorbeiziehenden vor, das Leben wäre ein bunter Bilderbogen. Im Zug wurde es still. Zigarrenrauch lungerte auf dem Gang, vom Nachbarabteil duftete es schwach nach einem Zitronenparfüm. Greschek und Walter glaubten sich sicher vor Mitreisenden. Sie legten die Beine hoch und die Arme unter den Kopf und berieten, ob auf Reisen schon zum Frühstück ein gebratenes Hühnerbein gestattet wäre. Walters Rückenschmerzen zogen in die Beine, Nebelschwaden in sein Gemüt. Bismarck fiel ihm ein und dass er einmal gelesen hatte, der Eiserne Kanzler hätte täglich drei Schnitzel und ein halbes Dutzend Eier gefrühstückt. Als die Abteiltür aufgerissen wurde, hatte er sich gerade an das Bismarckporträt in der großväterlichen Diele erinnert. Aus der Höhe prasselten Stimmen herab; sie waren laut und fremd, hoch und tief, doch nicht furchterregend. Ein Ehepaar mit einem etwa achtjährigen Jungen, der schwarze Samtaugen und eine olivbraune Haut hatte, stand im Coupé. Der Vater mit dichtem, glänzenden Schnurrbart sah jung und tatenfroh aus, ein wenig wie der in Leobschütz vergessene Papa aus Reginas Puppenhaus. Die Hüften der Mutter lockten Männer zu Tagträumen, ihr wohlgerundeter Bauch war Ruhekissen für ein etwa zehn Monate altes Baby, das gurgelnd in der Nase bohrte. Der Großvater hielt in seiner Linken einen großen Plüschesel mit nur einem Ohr, in der anderen Hand einen Geigenkasten aus rotbraun lackiertem, mit Rosen und Weinreben bemalten Holz.
    Zum Gepäck des Quintetts gehörten außer einem fest verschnürten Pappkarton drei große Koffer und eine Kiste Äpfel.

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