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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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lachten seine Augen mit. Mit der linken Hand schlug er einen kleinen Kaffeelöffel gegen die Kanne - er klimperte, was Jettel nicht erkannte, die Melodie von »It’s a long Way to Tipperary«. Schließlich zeigte er auf die beiden Tassen, die auf dem Tischchen am Fenster standen, und fragte: »Willst Tee, du Frau?«
    Es gab keinen Zweifel, dass diese freundliche Geister-erscheinung aus dem tiefsten afrikanischen Nirgendwo Deutsch gesprochen hatte. Genau vier Worte. Vier Worte aus der Heimat. Und doch konnte Jettel nicht glauben, dass es so gewesen war. Sie lächelte den Mann an. Er straffte seine Schultern, wurde ein wenig größer und breit wie ein Boxer, schlug ein zweites Mal mit dem kleinen Löffel gegen die Teekanne und sagte, obgleich er mit einem Tablett in der Hand leider am Salutieren verhindert war und auch seine Füße nicht in die richtige Stellung bekam: »Zu Befehl, Herr Leutnant.«
    Die Stimme war laut und sehr viel deutlicher als zuvor. Sie rollte aus den Tiefen der Geschichte ins Abteil. Die Mühe mit den ungewohnten, so lange nicht mehr herbeibeorderten Lauten war dieser dröhnenden Stimme anzumerken, dem, der sich spontan erinnert hatte, die jubelnde Freude über seinen Einfall. Der Mann hatte prall gefüllte Backen wie die Bilder, die in den Büchern für artige Kinder eine fröhliche Sonne zeigten, und er schnalzte mit der Zunge wie einer, dem die Tafel im Paradies mit gebratenen Hühnern auf Bananenblättern gedeckt worden ist.
    Regina vergaß ein für alle Mal, dass sie sich vor Fremden fürchtete. »Das kann ich auch«, sagte sie beeindruckt und bohrte ihre Zunge in die Backe.
    »Psst«, warnte Jettel, »du darfst den Herrn nicht verärgern.«
    Nicht einen Augenblick entging ihr die Absurdität der Situation. Ratlos und aufs Neue verängstigt schaute sie den fröhlichen Mann in seiner weißen Servierrobe an. Er dachte an die weißen Bwanas, die er beobachtete, wenn sie es nicht merken, und er zwinkerte der schönen jungen Memsahib zu. Jettel wurde noch unsicherer; sie starrte auf die Teekanne und die Kekse, fing an zu weinen, weil sie sich erinnerte, wie gern ihre Mutter Ingwer aß, und hörte ebenso plötzlich wieder auf. Inas Lieblingstochter, die noch keinen Tag in ihrem Leben um das passende Wort verlegen gewesen war, stammelte abwechselnd »ja« und »nein«, presste »bitte« und »danke« zwischen ihren Zähnen hervor, fragte »warum?« und dreimal hintereinander »Nairobi?«.
    »Danke«, entschied der Kellner. Er stolperte über das K, räusperte sich, klang wie ein Bühnenbär in einer deutschen Weihnachtsaufführung und wiederholte das Wort. Aus dem kleinen Krug goss er Milch, aus der großen Kanne den Tee. Der hellbraune, klare Strom färbte sich in der Tasse grau. »Zucker?«, fragte der joviale afrikanische Bär. Mit dem winzigen Löffel malte er einen kleinen Kreis in die Luft. Der Mann sprach Deutsch, ohne dass er die Mimik veränderte - als wären Deutsch sprechende Kenianer zwischen Mombasa und Voi, wo der Zug in zehn Minuten halten sollte, die Norm. Er stellte sein Tablett auf den Sitz neben Regina, sagte: »Nugu«, was in der Suahelisprache Affe heißt, hob Fips vom Boden auf und setzte ihn so vorsichtig auf die Hutschachtel, als wäre der Spielkamerad mit den biegsamen Beinen ein verletztes Kind. Den langen Plüschschwanz wickelte er sorgsam um den weichen Affenleib.
    Als er endlich zufrieden mit seinen Pflegediensten war, setzte der mildtätige Riese seinen rechten Zeigefinger auf die eigene Brust. Sein Gesicht nahm Haltung an. Er sagte: »Askari«, und ein paar Sekunden danach: »Lettow-Vorbeck«, legte ein imaginäres Gewehr in Anschlag, blies in ein imaginäres Horn, stürmte in die Schlacht, ohne einen Fuß zu bewegen. Weil die Memsahib aus dem Land der Deutschen jedoch immer noch nicht so reagierte, wie sich das ein ehemaliger Kämpfer der deutschen Afrikatruppe vorstellte, sagte er auch noch: »Heia Safari.« Hätte Walter statt Jettel in seinem Zug gesessen und sich von diesem ganz besonderen Kellner den Tee einschenken lassen, wäre es für beide ein nie mehr zu vergessendes Erlebnis geworden, die ungewöhnliche Lebensgeschichte des Philanthropen aus dem Speisewagen zu rekonstruieren. Walter wusste alles über Lettow-Vorbeck, was ein deutscher Patriot zu wissen hatte. Er hätte sofort verstanden, wie ein junger Mann aus Daressalam im Jahr 1915 dazu gekommen war, für einen deutschen Kaiser, von dem er noch nicht einmal den Namen kannte, in Deutsch-Ostafrika in den

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