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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Krieg zu ziehen. Seitdem hatte der ehemalige Askari viele Regenzeiten erlebt - und auch den Auszug der Deutschen aus seiner Heimat. Er selbst war von Tanganjika nach Kenia gezogen. Im Jahr 1938 besaß er drei Frauen, die ihm zusammen elf Kinder geboren hatten. Er hatte viel gesehen und noch mehr gelernt, doch von dem Land, für das er einst zu sterben bereit gewesen war, wusste er noch immer nicht mehr als in seiner Kämpferjugend. Sobald er jemand Deutsch reden hörte, probierte er die paar Worte aus, an die er sich nach zwei Jahrzehnten noch so gut erinnerte wie an den Namen seines Großvaters. Das große Staunen und das verblüffte Gelächter, wenn einer mit schwarzer Haut mit der Zunge der Weißen redete, genoss er wie ein erfolgreicher Jäger seine Beute.
    Der Askari aus der Truppe Lettow-Vorbecks rückte nun nicht mehr zum Appell an; er schnürte keine Stiefel, hatte weder ein Gewehr noch Feinde und als Uniform ein Kellnerhemd. Den Text der deutschen Marschlieder hatte er vergessen, die Melodien nicht. Der brave Soldat, für den es keinen Krieg mehr gab, der ihm zusagte, servierte nun der selbstbewussten britischen Elite des Landes den Morgentee. Für die reichen Reisenden machte er abends die Betten, vor dem Schlafengehen holte er ihnen Whisky. Nie vergaß er die Eiswürfel.
    Seit dem Ausbleiben der kleinen Regenzeit erlebte der ungewöhnliche Kellner allerdings Ungewöhnliches. Im Zug nach Nairobi hörte er immer häufiger die Sprache seines ehemaligen deutschen Generals. Zwar erfuhr der Soldat außer Diensten nie den Grund für die schlagartige Vermehrung der ihm vertrauten Laute, doch ihm fiel auf, dass die Menschen, die nun Deutsch redeten, anders aussahen als die Vorgesetzten, denen er einst als Krieger zu Diensten gewesen war. Auch verhielten sich die neuen Deutschen nicht wie die übrigen Europäer. Sie waren weder stolz noch herrisch, zählten immerzu ihr Geld und gingen selten in den Speisewagen. Einen Mann, der das Leben so gut kannte wie der Kellner, der viermal die Woche von Mombasa nach Nairobi und wieder zurück fuhr, erinnerten sie an verängstigte Gnukälber, die einem Löwen zu entkommen suchen. Die verstummten Fremden, deren Haut sich rötete, wenn der ehemalige Askari »Zu Befehl, Herr Leutnant« ausrief, gefielen ihm.
    Mit Jettel, die ihren Augen nicht die Trockenheit befehlen konnte und ihren Händen nicht die Ruhe, empfand der ehemalige Kriegsmann Mitleid. Er witterte, wie es um sie stand, war er doch mehr als nur ein Kenner der Menschen. Anders als viele seiner Weggenossen, mit denen er Bier, Männererfahrungen und die Scherze der Nacht teilte, hatte er das Bedürfnis, Schwache, Kinder und Leidende zu schützen, und nie schämte er sich seiner Güte.
    Er ahnte rasch und meistens richtig, was Menschen bewegte, konnte die Sprache von Augen deuten und verstand, was Leute sagten, die schwiegen. So mutmaßte der Verständnisvolle richtig, dass eine Frau, die nicht mit anderen Menschen zu reden imstande war, lieber mit ihrem Kind allein im Abteil statt am Tisch der stolzen Reichen im Speisewagen sitzen würde.
    Der Memsahib mit den feuchten Augen und ihrem Toto brachte der aufmerksame Gesandte des Himmels ein Tablett, das nur ein Großer der Kellnerzunft so sicher in einem schaukelnden Zug zu balancieren vermochte. Beladen war die liebevoll gedeckte Tafel mit dampfender Schildkrötensuppe, Käsegebäck, Früchten und schneeweißen Sandwiches. Die lagerten auf zartgrünen Salatblättern und waren gefüllt mit gehacktem Ei, zarten Tomatenscheiben, Roastbeef und Kalbfleisch, Cheddarkäse und Sardinen. Die dreieckigen Brote, der Stolz der britischen Gastronomie, waren so fein geschnitten, dass selbst Fips, der beim Essen umgehend zu nörgeln pflegte, wenn er mit kulinarischem Neuland konfrontiert wurde, sich als ein jubelnder Vielfraß entpuppte. Jettel verliebte sich in gelb leuchtende Mangos, zartweiche Papayas und in die Passionsfrüchte mit den saftigen Kernen. Reginas Augen waren tellergroß, als der kellnernde Zauberer ihr die dritte Portion grüne Götterspeise brachte.
    Nach dem Kaffee und einem Brandy, den ersten, den Jettel je trank, glänzten Afrikas Sterne auch für sie. Umhüllt von einem Moskitonetz, lag sie entspannt zwischen kühlen weißen Laken, über ihr eine federleichte Wolldecke. Mit einigen geschickten Handgriffen und einer Portion Gelächter hatten zwei barfüßige Männer in kurzen Hosen das Tagesabteil in einen Schlafwagen verwandelt. Regina lag gegenüber ihrer Mutter.

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