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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Bwana Simba. Und von meinem Vater natürlich. Owuor ist unser Koch und kann mit der Sonne reden und mit dem Regen. Mein Vater kann sogar Latein und Griechisch und kennt die Hauptstädte von allen Ländern in Europa. Bwana Simba ist für alle, die nicht seine Freunde sind, Mister Kinghorn. Er weiß alles und hat nur ein Bein. Aber ein Zauberpferd. Es heißt Creamcracker und kann in die Wolken fliegen. Ich glaube, Bwana Simba und Creamcracker kommen mich in Thompson’s Falls abholen.« »Langsam, langsam, Miss Muffet, das kann ich ja gar nicht alles auf einen Schlag behalten«, lachte der Pfarrer. Der Zug hatte unvermittelt angehalten. Nun stand er in einem dichten Wald, der weder die Glut der Mittagssonne noch Sturm zu fürchten brauchte. Die Luft aus der Welt der Stille, die durch das geöffnete Zugfenster ins Abteil kam, roch wie Honig. Sie war gefeit gegen die Schwere einer langen Dürre und berauschend wie das Tembo, das an fröhlichen Tagen von fröhlichen Männern aus Zuckerrohr gebraut wurde. Regina nahm ihre Schul-krawatte ab, stopfte sie in die Rocktasche und öffnete ihre Bluse. Die Honigluft erreichte Stirn und Hals, der Ruf eines balzenden Vogels das Ohr.
    Sie wusste nicht, wie lange der Zug noch bis Thompson’s Falls brauchen würde, und noch mochte sie nicht darauf vertrauen, dass Kinghorn tatsächlich dort am Bahnhof stehen würde, wie er Mister Whidett geschrieben hatte, doch der Geruch von Heimat und Geborgenheit hatte sie bereits erreicht. Reginas Nase war in Ol’ Joro Orok angekommen. Nasen waren schneller als Beine. Und auch klüger. Sie konnten Spuren riechen und vergessene Geschichten erzählen, aufregende und tröstende. Die mit der klugen Nase lehnte sich so weit zum Fenster des stehenden Zuges hinaus, dass sie mit ihren Fingerspitzen den Ast eines riesigen Baums mit dunklen Blättern und weißen Blüten berühren konnte. Jeder Atemzug ließ Regina wissen, dass sie zu Hause angekommen war. Das Salz, das ihre Kehle aufgerieben hatte, drängte in die Augen. Ausgerechnet in dem Moment, da der Tränenschleier so dicht war, dass die Schatten nicht mehr von den Bäumen zu unterscheiden waren, hörte die Heimkehrende einen Zweig knacken. Das Geräusch, vertraut und lockend und drei Monate lang vermisst wie die Farm und seine Menschen, war nur für die wahrnehmbar, deren Ohren Owuor geschult hatte. Regina unterdrückte den Impuls, ihre Freude in den Wald zu rufen, denn sie erinnerte sich rechtzeitig an Owuors Mahnung, auf einer Safari den Ohren nicht mehr zu vertrauen als den Augen. Da sah sie den Affen.
    Es war ein mächtiger, ungefähr achtzig Zentimeter großer männlicher Colobusaffe, der in Armeslänge vom Zug entfernt auf einem kräftigen Stamm saß und an einer gelben Blüte suckelte. Bestimmt war er ein Leittier, dem ein Harem von Frauen mit Kindern gehorchte.

»Ich merke immer ganz schnell«, erklärte Regina und jubelte, dass ihre Augen in der Schule nichts vom wirklichen Leben verlernt hatten, »ob ein Mann ein Mann ist. Da muss ich nicht erst sein Geschlechtsteil oder seinen Hintern sehen.«
    »Oh«, sagte der Pfarrer und beugte sich zu seinem Hund. Das langhaarige, glänzende Affenfell war schwarz, weiß der üppige Behang, der von den kräftigen Schultern hing und im leichten Wind wehte. Auch die imponierende Brust schimmerte hell. Das Gesicht mit den aufmerksam funkelnden Augen, das jedem Affenmann einen Ausdruck von Weisheit, Würde und Wissen gibt, war von dichtem weißen Fell eingerahmt. Der buschige Schwanz, so hell wie die Sonnenflecken schimmernd, die in den Ästen tanzten, war ungefähr hundert Zentimeter lang. Obwohl Regina von Kinghorn gelernt hatte, dass Colo-busaffen, diese Pracht des ostafrikanischen Hochlands, besonders scheu sind, schaute die Affenmajestät seine Bewunderin an, als würde er jeden Tag einer Schülerin der Nakuru School die Liebe zu Afrika lehren.
    »Ein Colobusaffe«, flüsterte die glücklich Liebende. »Wenn Sie sich neben mich stellen, können Sie ihn auch sehen.«
    »Darf ich das?«
    »Aber ja. Nur vorsichtig. Ich hab mir noch nichts gewünscht. Colobusaffen können Wünsche erfüllen, wenn man sie nicht stört.«
    »Wer hat dir denn das beigebracht, du kleines Heidenmädchen?«
    »Owuor. Er kann mit den Affen reden.«
    »Mir scheint er ist ein Zauberer, dein Mister Owuor.« Regina lachte, weil der Gottesmann ihren Owuor einen Mister genannt hatte. Als er sich neben sie stellte, fühlte sie den Druck seiner Hand auf ihrer Schulter. Die Hand war so

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