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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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gut wie nie vor, dass die Farmer in der Rift Valley von Nakuru nach Thompson’s Falls mit dem Zug fuhren. Deshalb gab es nur einen einzigen Waggon für Europäer. Von den zwei Abteilen war das erste leer, die Fenster abgedunkelt. In dem daneben saß ein Mann. Regina sah nur seine Arme und Beine und dass er Schuhe anhatte, die er als Spiegel hätte benutzen können. Auf seinem rechten Fuß schlief ein massiger Hund. Es war ein weißer Boxer wie Kammerherr Rummler, der bestimmt schon wusste, dass Königin Regina unterwegs nach Ol’ Joro Orok war. Der Hund im Zug hatte, genau wie Rummler, einen großen schwarzen Fleck über einem Auge. Er schnarchte und sabberte im Schlaf. Weil Regina wusste, dass Hunde mit geschlossenen Augen sehen kön-nen, lächelte sie ihm zu. Hunde waren anders als Menschen. Es lohnte sich immer, sie zum Freund zu gewinnen. Sie gaben keine Befehle, mäkelten nicht an Kindern herum und leckten ihnen mit einer warmen Zunge Tränen aus Augen, die das Salz nicht halten konnten. Hunde rochen Kummer, Trauer und die Angst des Herzens, ihre Nase schlief nie.
    Das Gesicht des Mannes konnte Regina ebenso wenig sehen wie sein Haar. Sein Kopf steckte immer noch hinter einer Zeitung. So wusste sie nicht, ob er alt wie ihr Freund Kinghorn war, der ja in Wirklichkeit Bwana Simba hieß, oder jung wie Mister Sloane, der Kinder nicht mochte und Mädchen schon gar nicht. Unschlüssig blieb die Monarchin in dem ausgebleichten Trägerrock an der Tür stehen. Einerseits erschien es ihr eine besondere Freude, die erste Stunde ihrer Ferien zu genießen, ohne dass sie mit irgendwem reden musste - und vielleicht lächeln oder lachen, wenn sie es gar nicht wollte. Andererseits drängte es Regina, sich mit dem Hund zu unterhalten und herauszufinden, ob sie sich einem Tier noch so gut verständlich machen konnte wie vor dem Weihnachtssemester. Alle Sprachen, die sonst in ihrem Leben von Bedeutung waren, hatte Regina bereits am Abend zuvor rekapituliert. Sie hatte kein Wort Suaheli vergessen, um mit Jogona, Kimani, Kamau, Choroni, Burugu, Che-beti und allen anderen Freunden in Ol’ Joro Orok zu reden. Und sie konnte genauso gut Jaluo wie in den letzten Ferien, um mit Owuor in seiner eigenen Sprache das Leben, die Freude und allen Kummer zu teilen.
    Mit Deutsch, das sie ja während der Schulzeit noch nicht einmal unter der Bettdecke zu üben wagte, weil es die Sprache der Feinde war und manche ihrer Mitschülerinnen sie ohnehin eine Spionin nannten und andere ein Nazigirl, stand es bestimmt nicht so gut. Obwohl ihr Vater immer wieder sagte, Deutsch sei Reginas Muttersprache, schlüpften während der drei Monate im Internat eine ganze Menge Wörter aus ihrem Kopf. Bestimmt würde der Vater, sobald er das merkte, wieder traurige Augen bekommen und einen Stein aus der Kehle husten müssen. Und ihre Mutter würde den Kopf schütteln und sagen: »Hör endlich auf mit dem ganzen Quatsch von Heimat und Vaterland. Sie ist nun mal hier zu Hause. Sei froh, wenn sie nicht gegen den Strom schwimmen will. Einer in der Familie reicht.« Worauf Regina weder Vater noch Mutter ansehen, zum Fenster hinausschauen und ziemlich verlegen sagen würde: »Aber ich schwimme doch gar nicht gern.«
    »Und wozu«, würde dann der Vater fragen, »haben wir dir einen Badeanzug kaufen müssen?«
    So ein Gespräch war genau das, was für Regina Heimat bedeutete. Nicht zu rätseln, was Worte bedeuteten, ob sie gut oder gemein waren, beruhigend oder eine Drohung, sich nicht überlegen zu müssen, vor wem sie sich schützen musste. Zu Hause sein hieß, in die Arme genommen und gedrückt zu werden, bis sie kaum noch atmen konnte, jeden Tag aufzuwachen und zu wissen, dass die Liebe ein Ring aus Gold und Edelsteinen ist, ohne Anfang und ohne Ende. So ein Ring aus Liebe funkelte in der Sonne und leuchtete hell im Mondlicht.
    Der Zug fuhr los. Regina musste sich festhalten, um nicht hinzufallen. Sie kicherte, als wäre sie ein Schulmädchen wie andere - mit blonden Zöpfen und strammen Waden, mit starken jungen Müttern, die große Vans chauffierten, fröhlich winkten und »Bye-bye« sagten und sich eine
    Zigarette anzündeten, wenn sie ihre Kinder für drei Monate im Internat ablieferten. »Bye-bye«, sagte Regina und salutierte.
    Im letzten Moment sah sie noch die graue Katze und den Rücken des Bahnhofsvorstehers. Er wedelte mit einer grünen Fahne. Regina beneidete ihn, weil er jeden Tag die Züge sehen und hören durfte, in Nakuru lebte und trotzdem nichts mit

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