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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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dritten Schritt die Erde berührten, auf ihn zu und wurde stumm. Auch das war Heimkehr, im Rausch des Glücks die Kraft der Zunge zu verlieren.
    »Papa«, schluchzte sie, als sie wieder sprechen konnte, »ich habe gedacht, ich werde dich nie wieder sehen.« »Ich auch, Regina, ich auch. Das denke ich immer.« »Und immer ist es anders«, lachte sie.
    Eng umschlungen liefen sie zurück zu den Pferden und Kinghorn. Die Haut des Vaters roch nach Heimat, Sicherheit und Liebe. Der Vater aber roch nur das frisch geschnittene Holz. Auf seine Nase war kein Verlass. Er hatte sie nicht mit auf die Safari genommen, als er in Leobschütz aufgebrochen war. »Bei wem willst du reiten?«, fragte er. »Mit Kinghorn oder mit mir? Ich kenn’ dich doch. Du hast schon im Zug davon geträumt, auf Creamcracker in Ol’ Joro Orok einzureiten.«
    Nur einen Augenblick, der nicht länger als einen Lidschlag währte, lockte Creamcrackers Seidenmähne. Dann sagte Regina, ohne zu schlucken und auch ohne zu schwindeln: »Bei dir natürlich.«
    Noch trug sie leicht an dem Opfer, das die Liebe von jenen fordert, die ihre Väter zu sehr lieben. Erst im Schatten des ersten Baums fiel ihr der Engelsmann ein, der ihre erste Reise ohne Begleitung zu einer Safari gemacht hatte, in der weder Meilen noch Minuten zählten. Mit Hund und Koffer und einer Bewegtheit, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr erreicht hatte, stand er noch am Bahnhof von Thompson’s Falls und hielt Ausschau nach denen, die zugesagt hatten, ihn abzuholen. Obwohl er nach allen Seiten spähte, wurde er nicht gewahr, dass eine heimkehrende Königin sich von ihm verabschiedete.
    Ende der Ungewissheit
    Leobschütz-Breslau, 8. Januar 1942
    Es war morgens um sieben, sechs Grad minus und der Leobschützer Bahnhof noch nachtdunkel. Eine zerschlissene braune Tüte und ein kleiner Tannenzweig mit einem einzelnen Faden Lametta lagen zwischen den Gleisen. Wäre die Tüte nicht kaputt gewesen, hätten sich selbst Alte und Kranke nach ihr gebückt. Tüten waren eine Kostbarkeit geworden. In fast allen Geschäften mussten die Kundinnen sie beim Einkauf von Mehl, Zucker, Grieß, Graupen und Hülsenfrüchten mitbringen. Greschek prüfte, ob sein Koffer gut verschlossen war. Ihm fiel ein, wie er sich über Grete lustig gemacht hatte, weil sie am 1. September 1939 schlagartig begonnen hatte, außer Fett und Mehl feste Tüten, Schnur und Stopfgarn zu horten. »Wirst schon sehen«, hatte sie sich erinnert, »wo viel marschiert wird, wird das Stopfgarn knapp. Hat mir meine Muttel immer vom Weltkrieg erzählt.«
    »Der ist seit heute der Erste Weltkrieg«, hatte sie Gre-schek belehrt.
    Das Plakat, das an der Bahnhofstür klebte, war von einem Schneeball getroffen worden, der glücklicherweise nach seiner Landung festgefroren war. Sonst hätten vaterlandstreue Staatsbürger lesen müssen, dass die frevlerische Hand, die den Bahnhof einer oberschlesischen Kreis-
    stadt mit Schneebällen bombardierte, unter die Warnung »Feind hört mit« ein defätistisches »Hoffentlich bald!« gekritzelt hatte.
    Außer Greschek warteten drei Erwachsene und zwei Kinder auf den Zug nach Gleiwitz: ein Mann von der Post, eine junge Frau mit zwei hustenden Buben in grauen Wollmützen und die Walburga Schmolka aus Hennerwitz. Greschek, der das Jahr mit einem schlimmen Hexenschuss und Vorahnungen begonnen hatte, die ihn als einen besonders treffsicheren Beobachter der Zeitläufte auswiesen, runzelte die Stirn, als er die »Schmolkasche« sah. Er hoffte sehr, sie hätte in Ratibor zu tun und würde nicht mit ihm nach Breslau umsteigen. Es war besser, wenn keiner sein Reiseziel kannte und niemand sich über ihn Gedanken machte. Am Ende noch solche, die zutrafen! Zufällige Begegnungen konnten gefährlich werden, Mitwisser, selbst wenn sie aus anständiger Familie stammten und jeden Sonntag in die Kirche gingen, sogar lebensgefährlich.
    Greschek kannte die Familie Schmolka seit seiner Kindheit, die einzige Tochter des tragisch geendeten Hofbesitzers allerdings nur flüchtig. Unmittelbar vor Weihnachten hatte sie bei ihm zwei Gänsekeulen gegen zwei Glühbirnen eingetauscht und Greschek mit der üblen Laune, für die er im ganzen Landkreis berüchtigt war, ihr vorgehalten: »Eigentlich müssten meine Birnen genauso mickrig sein wie deine Gänsebeine.« Sie hatte eine Lieferung Entendaunen zu Ostern in Aussicht gestellt.
    Nun schien ihr nicht bewusst zu sein, dass solche flüchtigen Geschäftsbeziehungen außerhalb der Legalität

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