Nur die Liebe bleibt
heiß, als würde die Kühle des Hochlands sie nie erreichen. Auch hatte der schwarze Engel mit der zupackenden Hand nicht gelernt, seinen Atem abzukühlen, ehe er ihn verriet. Wie stampfende Füße waren die Stöße aus seiner Brust. Das Geräusch muss den Colobusaffen gestört haben; er ließ die gelbe Blüte fallen, zeigte sein kräftiges Gebiss und sprang in die Tiefe.
»Kwaheri«, flüsterte Regina. »Haben Sie ihn noch gesehen?«
»Ja, aber ich war zu langsam. Ich habe mir nichts mehr wünschen können. Und du?«
»Ich hatte Zeit genug. Ganz viel Zeit. Und er hat mich auch verstanden. Das hat er mir gesagt.«
»Und was hast du dir gewünscht?«
»Das darf man nicht sagen, wenn man will, dass der Wunsch in Erfüllung geht. Aber ich habe mir nichts für mich gewünscht.«
»Recht so«, sagte der Pfarrer. Obwohl er seinen Kopf an
die Fensterscheibe presste, als er Gott für seinen Beistand im Moment der Versuchung dankte, fiel Regina auf, dass sein Gesicht einen Schatten eingefangen hatte. Zehn Minuten später fuhr der Zug an; da hatte sie bereits begriffen, dass der Mann im schwarzen Anzug kein Engel war. Engel waren nicht neugierig und hatten keinen dampfenden Atem. Vor allem hätte ein Engel, ohne zu fragen, gewusst, was sich ein Refugeekind wünschte, dessen Großeltern und beide Tanten nicht rechtzeitig aus Deutschland herausgekommen waren.
»Wir müssen bald in Thompson’s Falls sein«, sagte der Pfarrer, »selbst wenn ich unseren Aufenthalt bei deinem Affenfreund abziehe, kann die Fahrt nicht mehr lange dauern. Ich nehme an, du hältst es vor Freude schon gar nicht mehr aus. Ich erinnere mich noch an meine Schulzeit. Die letzten zehn Minuten, ehe ich meine Eltern wieder sah, waren die längsten im ganzen Semester.«
»Ich habe Zeit«, überlegte Regina. »Und ein bisschen Angst. Bwana Simba hat keine Uhr, und die Sonne zählt die Minuten nicht. Wenn er nicht am Bahnhof ist, um mich abzuholen, weiß ich gar nicht, was ich tun soll. Von Thompson’s Falls kann ich nicht nach Ol’ Joro Orok laufen. Auch mit starken Füßen würde ich den Weg nicht finden. Nicht ohne Rummler und eine Lampe.«
»Dann weiß ich, was du dir gewünscht hast. Dass Bwana Simba pünktlich ist.«
»Nein, ich hab doch gesagt, dass ich nichts für mich gewünscht habe. Für sich selbst etwas zu wünschen, wenn man einen Colobusaffen sieht, wäre so, als würde ich für mich selbst beten«, belehrte ihn Regina.
»Die Fähigkeit dazu gilt allgemein als Gnade. Mach dir keine Sorgen. Ich werde ja auch in Thompson’s Falls ab-geholt, und ich verspreche dir, dass ich bei dir bleibe, bis ich dich in guten Händen weiß.«
Er hob seine rechte Hand zum Schwur. Die Hand, das war Regina klar, gehörte einem Mann, denn es war eine Männerhand, die auf ihrer Schulter gelegen hatte. Allerdings schwankte sie ein letztes Mal, ob es nicht doch ein Engel war, der sie anlächelte. In seinen Augen leuchtete Feuer.
Als wäre Regina ein hilfloses Kind, hob er sie aus dem Zug, dann ihren Koffer mit dem Aufkleber der »Adolph Woermann«. Mit der Stimme, die Ohren streichelte, auch wenn sie nicht um Trost gebeten hatten, sagte er: »Wetten, dass auf deinen Bwana Simba so gut Verlass ist wie auf die Uhr von Big Ben.«
Noch ehe das letzte Wort im Wüten einer Säge erstickte, sah Regina die beiden Pferde im gleißenden Sonnenlicht stehen. Creamcracker, das Wunderross, das über jeden Graben und hinauf in die Wolken springen konnte, ohne seinen Reiter abzuwerfen, bewegte seinen schönen Kopf. Neben ihm wartete Harry, der bescheidene, betagte Braune, der schnaufte, wenn er über einen gefallenen Baumstamm klettern sollte und der selbst Jettel auf seinen Rücken ließ, ohne dass seine Pferdewürde Schaden nahm, weil Owuor sie hinaufschieben musste.
Da das Absteigen mit seinem einen Bein Bwana Simba Mühe machte, rief er »Jambo, Memsahib kidogo« vom Pferderücken aus. Er schwenkte seinen Hut im Kreis. Sein weißes Haar leuchtete in der Sonne - so schön wie das Fell vom Colobusaffen.
»Jambo«, schrie die Königin zurück, denn nun war sie endgültig heimgekehrt. Harry, der Treue mit der großen Pferdevergangenheit, stand mit leerem Sattel da, denn der Reiter, den er von Ol’ Joro Orok nach Thompson’s Falls getragen hatte, eilte mit ausgebreiteten Armen auf seine Tochter zu.
Regina, zu benommen von der Freude ihrer Augen, sah ihren Vater erst, als er am Holzstoß mit der kreischenden Säge vorbeilief. Sie rannte mit Füßen, die nur bei jedem
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