Nur die Liebe heilt
er.
Sie konnte auch einfach weitergehen. Brodie wartete auf sie, und sie hatte den Verdacht, dass er sich nicht besonders freuen würde, wenn sie ausgerechnet wegen dieses Jungen zu spät käme.
Auf der anderen Seite würde sie sich ein Leben lang Vorwürfe machen, wenn sie ihn ganz allein hier an der Felskante stehen ließe und er sich etwas antäte.
Eigentlich sollte sie kein Mitleid mit diesem Jungen haben, nach allem, was er getan hatte. Betrunken mit einem Pick-up voller Jugendlicher vor der Polizei zu flüchten, nachdem sie verschiedene Einbrüche in der Gegend begangen hatten. Er war ein arroganter Bursche, dessen Eltern ihn abwechselnd ignorierten und mit Geld überschütteten.
Es war aber genauso offensichtlich, dass dieser Junge litt.
Sie trat etwas näher, und Jacques schien der Ansicht zu sein, dass er damit die Erlaubnis hatte, dasselbe zu tun. Er lief durch das Geröll und Gebüsch auf den Jungen zu und stellte dann die Pfoten genau neben ihn auf den Felsrand.
„Dieses unhöfliche Vieh ist mein Hund Jacques. Keine Sorge, er ist lieb. Fast schon zu lieb, um genau zu sein. Jacques, das ist Charlie.“
Der Labradoodle wedelte eifrig mit dem Schwanz. Zaghaft tätschelte Charlie zweimal seinen Kopf, als ob er nicht besonders oft mit Tieren zu tun hätte. Zu schade, dachte sie. Ihrer Erfahrung nach waren Kinder, die sich um ein kleines Wesen kümmern mussten, verantwortungsvoller und weniger egoistisch als andere.
„Du bist schon früh unterwegs.“ Sie hockte sich auf einen Stein in einem gewissen Abstand zu Charlie, damit er sich nicht bedrängt fühlte.
„Ist die beste Zeit zum Fahrradfahren. Da kommen einem nicht so viele Idioten in die Quere.“
Entweder war er wirklich sehr gern allein, oder Charlie Beaumont hatte momentan einfach Schwierigkeiten, mit anderen Menschen umzugehen. Vermutlich Letzteres.
Er blickte die steile Felswand herab, und wieder begannen ihre Alarmglocken zu schrillen. „Manchmal ist es für dich bestimmt leichter, allein zu sein“, sagte sie ruhig.
„Was soll das denn heißen?“
Sie überlegte kurz, ob sie ihm etwas vormachen sollte, doch vermutlich war er sowieso von zu vielen Menschen umgeben, die ihm niemals ehrlich die Meinung sagten. „Nur, dass du im Augenblick nicht gerade der beliebteste Junge der Stadt bist.“
Sein Gesicht verdüsterte sich vor Zorn – doch zugleich glaubte sie, Traurigkeit in seinen Augen zu sehen. „Denken Sie wirklich, dass mich die Meinung der Leute in diesem beschissenen Kaff interessiert?“
„Sag du es mir.“
„Hope’s Crossing kann mich mal kreuzweise. Mir doch scheißegal.“ Seine Hände zitterten ein wenig, als er Jacques’ lockiges Fell streichelte.
Sie verscheuchte eine Fliege von ihrem Arm. „Wie witzig. Ich glaube das nämlich nicht.“
„Wieso nicht?“
„Natürlich ist es dir nicht egal, was die Leute über dich sagen.“
Er sah sie nicht an, sondern blickte wieder in den Abgrund. „Macht mir nichts aus. Es stimmt doch schließlich, oder nicht? Ich habe Layla umgebracht und Taryn zum Vollkrüppel gemacht.“
Was für eine schwere Bürde für einen Siebzehnjährigen, auch wenn er selbst schuld daran war. Lag wohl an ihrem viel zu sentimentalen Herz, wie Brodie es ausgedrückt hatte, dass ihr dieser aufsässige Junge ehrlich leidtat.
„Sie ist kein Vollkrüppel.“
Er runzelte die Stirn. „Sie sitzt im Rollstuhl. Sie kann nicht sprechen. Brittney Jones, eine ihrer bescheuerten Freundinnen aus dem Cheerleader-Team, sagt, dass sie nicht mal selbst essen kann.“
Plötzlich kam ihr eine Idee, eine vollkommen unpassende, um genau zu sein. Sie schob sie schnell zur Seite.
„Bevor ich nach Hope’s Crossing gekommen bin, war ich Physiotherapeutin. Und jetzt stellte ich gerade ein Therapieprogramm zusammen, das Taryn helfen soll.“ Falls das Mädchen irgendwann mal bereit war, dieses Programm auch tatsächlich durchzuziehen. Aber das behielt sie lieber für sich.
Zumindest sah er sie jetzt an, statt weiterhin in die Tiefe zu starren. „Wie geht es ihr?“, fragte er. „Macht sie Fortschritte?“
„Ja, wenn auch langsam. Es geht schon etwas besser.“
Diese Idee ließ sie einfach nicht los. Sie war völlig verrückt, aber einige ihrer besten Ideen waren verrückt gewesen. „Warum besuchst du sie nicht einfach mal und überzeugst dich selbst davon?“, stieß sie hervor, ohne noch länger darüber nachzudenken.
Er schnappte nach Luft. „Das kann ich nicht!“
„Wieso nicht? Ich glaube, Taryn
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