Nur die Liebe heilt
Rat brauchte. „Aber genau das wolltest du doch, oder nicht?“
„Ja. Natürlich. Seinetwegen ist ein Mädchen gestorben, und das Leben eines anderen wurde fast zerstört. Dafür muss er bezahlen.“ Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar.
„Aber?“
Ich weiß nicht. Nichts. Nur … im Gerichtssaal ist mir plötzlich klar geworden, dass er fast noch ein Kind ist. Gerade mal siebzehn Jahre alt.“
Zum ersten Mal zeigte er Mitgefühl für den Jungen, und ihr wurde so warm ums Herz, dass sie am liebsten geweint hätte.
„Danke, dass du mir davon erzählt hast“, brachte sie schließlich hervor. „Aber ich verstehe immer noch nicht, wie ich dir helfen kann.“
„Taryn ist außer sich. Sie hat gehört, wie ich mit meiner Mutter darüber gesprochen habe, und ist völlig ausgeflippt. Seit Freitag besteht sie darauf, vor Gericht auszusagen. Und du musst mir helfen, sie davon abzubringen.“
„Weshalb?“
„Weil sie auf dich hört. Sie vertraut dir. Du bist auf eine Weise zu ihr durchgedrungen wie kein anderer seit dem Unfall.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nicht ich bin zu ihr durchgedrungen, Brodie. Ich verstehe nicht, warum du mir nicht richtig zuhörst. Charlie war es, der ihr helfen konnte.“
„Vielleicht hat er ihr geholfen, aber du hast eine Bindung zu ihr aufgebaut. Auf mich wird sie nicht hören, aber vielleicht kannst du ihr sagen, dass es ein Fehler wäre, vor Gericht zu erscheinen.“
„Was wäre so schlimm daran?“
Er sprang auf, ging zum Fenster und lehnte sich ans Fensterbrett. „Sie hat zweifellos einen weiten Weg hinter sich. Verglichen mit dem Tag, als sie aus der Klinik kam, ist sie jetzt ein anderes Mädchen. Aber vor der ganzen Stadt in einem überfüllten Gerichtssaal auszusagen, das ist einfach zu viel für sie. So weit ist sie noch lange nicht.“
Sie konnte ihn verstehen. Er machte sich Sorgen um sein Kind und wollte es vor Schaden bewahren. Wie sollte sie ihm nur begreiflich machen, dass Taryn selbst entscheiden musste, wie weit sie gehen wollte. Dazu war sie durchaus in der Lage. Wenn sie also der Ansicht war, dass sie eine Aussage durchstehen würde, dann musste Brodie ihr diese Chance zugestehen.
„Ich werde jetzt etwas sagen und hoffe, dass du es nicht falsch verstehst.“
Er lachte rau. „Wenn so ein Satz vorausgeschickt wird, folgt normalerweise ein ziemlicher Knaller.“
„Ich weiß, dass du immer nur in Taryns Interesse handelst. Und sie weiß das auch. Du bist ein guter Vater und willst deine Tochter beschützen. Das bewundere ich wirklich, Brodie.“
„Aber?“
Ein Blitz zuckte hinter ihm auf, und das laute Donnern, das folgte, machte sie nervös. Eigentlich wollte sie nicht ausgerechnet jetzt mit ihm diskutieren, wo sie so furchtbar erschöpft war. Aber da er am nächsten Tag die Stadt verließ, war das ihre letzte Möglichkeit, für Taryn eine Lanze zu brechen.
Sie holte tief Luft, stand ebenfalls auf und stellte sich neben ihn ans Fenster. „Du musst Taryn mehr vertrauen. Du tust ihr keinen Gefallen, wenn du sie immerzu beschützt und zu Hause einsperrst, wo sie sicher ist. Früher oder später muss sie wieder hinaus in die Welt. Ich glaube, du solltest sie auch wieder zur Schule gehen lassen. Und du solltest sie vor Gericht aussagen lassen, wenn sie das möchte. Sie ist viel stärker, als du glaubst.“
Er schloss die Augen. „Jeder Vater hofft, dass er seine Tochter zu einem starken und belastbaren Menschen erzogen hat. Aber nicht jeder Vater hat dasselbe durchgemacht wie ich in den letzten vier Monaten. Nicht jeder Vater hat seine Tochter in den Armen gehalten und gewusst, dass nur ein Dutzend Maschinen sie am Leben halten. Nicht jeder Vater hat Tag für Tag am Bett seines Kindes gesessen undgebetet, dass es noch irgendwo in diesem verletzten, reglosen Körper zu finden ist. Als sie im Koma lag, glaubte ich, sie verloren zu haben. Fast zwei verdammte Monate lang habe ich jedes Mal, wenn ich ins Krankenhaus gegangen bin, gefürchtet, heute könnte der Tag sein.“
Wieder blitzte es hinter ihm. Tränen brannten in ihrem Hals, als sie den Schmerz in seinen Augen sah. Er war kein Mann, der leicht über seine Gefühle sprach, und es berührte sie zutiefst, dass er sich ihr gegenüber öffnen konnte.
„Okay, vielleicht bin ich überfürsorglich. Vielleicht muss ich sie loslassen. Aber ich möchte nicht, dass sie nach allem, was geschehen ist, noch mehr verletzt wird. Kannst du das nicht verstehen?“
„Doch“, murmelte sie, überwältigt von
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