Nur dieser eine Sommer
Teenager-Weltschmerz bei ihr war! Wer weiß das schon? Jetzt bloß keine schlafenden Hunde wecken!“
„Das sieht dir ähnlich! Nur alles wieder schön verdrängen!“ Flo betrachtete ihre Fingernägel. „Apropos, hast du ihr mitgeteilt, dass …“ Sie schaute auf. „… na ja, das mit dir eben!“
„Wie es um mich steht? Gott bewahre! Sie hat doch gerade erst den Fuß über meine Schwelle gesetzt!“
„Von wegen! Seit Tagen ist sie schon da! Ich kenne dich, Olivia Rutledge! Du hältst natürlich wieder den Mund und frisst alles in dich hinein. Nur um des lieben Friedens willen!“
„Keineswegs. In Kürze habe ich einen Arzttermin. Ich wollte Cara sowieso schon seit langem informieren – jetzt kommt es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht mehr an!“
„Aber dann sagst du es ihr?“
„Selbstverständlich!“
Noch einmal musterte Flo ihr Freundin scharf, als wolle sie ergründen, ob sie Lovie glauben konnte oder nicht. Offenbar zufrieden mit dem Ergebnis dieser Inspektion, stieß sie einen tiefen Seufzer aus, klopfte sich abschließend mit der flachen Hand auf den Oberschenkel und stand auf. „Ich muss nach Miranda schauen. Sie hat sich leicht erkältet. In dem Alter darf man selbst das kleinste Zipperlein nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ach, fast hätte ich vergessen, weshalb ich überhaupt hier aufgetaucht bin! Drüben auf Sullivan’s Island ist eine tote Schildkröte angespült worden. War ein ganz junges Weibchen, das arme Vieh. Eine Schiffsschraube hat ihm den Carapax zerfetzt, wahrscheinlich im Hafen. Das ist jetzt schon der sechste tote Loggerhead, der seit Beginn der Brutzeit angespült wurde. Ich fürchte, es wird dieses Jahr mehr tote Tiere als Bebrütungsgruben geben. Wir müssen uns gewiss auf weitere Schildkrötenleichen einstellen, wo doch die Fangsaison auf Garnelen bald losgeht!“
„Mal den Teufel nicht an die Wand! Noch sind wir früh dran; unsere Schildkrötenmädchen dümpeln noch draußen in der Dünung und machen sich bereit. Lass ihnen Zeit! Mag sein, dass es diesmal ein wenig schleppend anfängt. Doch es wird sicher unsere bisher beste Schildkrötensaison und ein durchschlagender Erfolg.“ Voller Hoffnung blickte Lovie auf das Foto mit ihrer Tochter und lächelte dabei strahlend. „Ich spüre es.“
Im Englischen wird die Meeresschildkröte ihres großen Kopfes wegen als „Loggerhead“ (Dickschädel) bezeichnet. Ihre Kinnladen sind gebogen, sodass das kräftige Maul der Spitze eines Geierschnabels ähnelt. Das Innenohr ist mit Lederhaut überwachsen. Meeresschildkröten besitzen einen sehr feinen Geruchssinn und einen ausgeprägten Instinkt für den Überlebenskampf, der die Art seit Urzeiten vor dem Aussterben bewahrt hat.
4. KAPITEL
N achdem sie eine Woche lang Trübsal geblasen und im Pyjama im Haus herumgehockt hatte, langte es Cara allmählich mit dem Selbstmitleid. Ihr Entschluss stand fest: Jetzt sollte der Ferienaufenthalt richtig anfangen.
Den ganzen Morgen über waren unentwegt Anrufe von aufgeregten Schildkrötenaktivistinnen eingegangen. Schließlich erfasste Toy und Lovie eine hektische Aufbruchstimmung: Sie packten ihre Utensilien in den roten Plastikeimer, eilten zu Lovies Käfer-Cabrio und machten sich auf zum Strand, zu den Fundstellen diverser Schildkrötenspuren.
Hinter geschlossener Zimmertür wartete Cara, bis die Haustür vernehmlich ins Schloss fiel und Toys und Lovies Schritte sich entfernten.
Ihre jetzige Lage erinnerte sie an das, was sie und ihr Bruder früher immer gesagt hatten, nachdem ihr Vater zur Arbeit aufgebrochen war:
Die Luft ist rein!
Duschen konnte sie nur mehr schlecht als recht, da bloß ein kümmerliches Rinnsal aus dem verkalkten Duschkopf plätscherte. Hingegen hob die von Lovie bereitgelegte parfümierte französische Seife ihre Stimmung beträchtlich. Große, flauschige Duschtücher und eine herrlich angenehme, nach Gardenien duftende Lotion rundeten die Morgentoilette ab. Bei ihrer Rückkehr ins Zimmer stellte Cara endlich fest, dass ihr Koffer bereits ausgepackt worden war. In einer Kommodenschublade fand sich ein frisches Duftkissen.
„Ach, Mama …“, murmelte Cara und schüttelte lächelnd den Kopf.
Die Sachen, die sie mitgebracht hatte, ihre schicken Hosen, Seidenblusen und das sexy geschnittene schwarze Kleid, hingen bereits auf Bügeln in dem engen Spind. Daheim in Chicago quoll der Kleiderschrank über vor Edeltextilien: Seidenblusen und Halstüchern, Kostümen aus federleichter Schurwolle.
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