Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
Vom Netzwerk:
sie war der Ansicht, dass solche Scherze stets auch ein Körnchen Wahrheit enthielten.
    Als Nächstes schaute sie sich das Foto ihrer Nichte an, das in einem Porzellanrahmen mit Blumendekor steckte. Linnea musste nach Caras Einschätzung jetzt etwa neun Jahre alt sein und war ein bildhübsches Ding, das Züge von beiden Elternteilen aufwies. Sie besaß zum Beispiel das gleiche offene Lächeln wie ihr Vater und würde, da war sich Cara sicher, irgendwann mit diesem koketten Strahlen sämtliche Bengel um den Finger wickeln. Ansonsten ähnelte sie mehr ihrer Mutter sowie ihrer Großmutter: zierlich, mit strahlenden blauen Augen, feinem, weißblondem Haar und einer zarten Haut. Cara lachte leise in sich hinein. Der gute Palmer wird mal alle Hände voll zu tun haben, seiner Kleinen die Jungs vom Leibe zu halten, vermutete sie; aber nach all dem Unfug, den der Kerl in seiner Jugend angestellt hat, ist das nur ausgleichende Gerechtigkeit.
    Cooper hingegen war ein echter Rutledge, angefangen vom rebellisch vorgereckten Kinn über die Nase, die bereits den Ansatz edler Form und gerader Linie erkennen ließ, wie sie für einen Rutledge typisch waren, bis hin zur breiten Stirn mit dem charakteristischen Haaransatz. Auf dem Foto sah man, dass der Kleine nicht in die Kamera lächelte, sondern eine eher unwirsche Grimasse zog, als wolle er fragen: Muss das unbedingt sein? Cara überlegte, wie alt der Junge sein mochte, und es war ihr peinlich, dass sie es nicht wusste. Ging man nach dem pausbäckigen Gesicht und dem unsicheren, fast verlegenen Grinsen, konnte er höchstens fünf sein. Was Cara jedoch besonders faszinierte, war die Augenfarbe – ein dunkles Braun, so wie bei ihr selbst und bei ihrem Vater. Der Blick dieser braunen Augen verriet die Verletzlichkeit hinter der forschen Fassade. Cara fand sich in ihrem Neffen ein Stück weit wieder.
    Bedächtig stellte sie das Foto auf den Kaminsims zurück und gestand sich bekümmert ein, dass ihr die beiden Kleinen ziemlich fremd waren. Eigene Kinder hatte sie nicht, was weniger am guten Willen als vielmehr an den äußeren Umständen lag. Linnea war ihre einzige Nichte, Cooper der einzige Neffe. Natürlich hatte sie ihnen regelmäßig Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke geschickt und postwendend höfliche, doch unpersönliche Dankschreiben erhalten. Aber tiefer reichte das Verhältnis nicht. Cara war sich nicht mal sicher, ob die zwei ihre Tante wohl erkennen würden, falls sie ihnen zufällig über den Weg liefe.
    Kurz entschlossen begab sie sich zum Telefon und wählte Palmers Privatnummer – die Nummer ihres Elternhauses, die sie von Kindesbeinen an auswendig konnte. Viermal erklang das Rufzeichen, ehe sich eine unwirsche Stimme meldete.
    „Palmer?“ fragte Cara verblüfft. Dass ihr Bruder am Vormittag zu Hause war, wunderte sie. Sie hatte eigentlich mit Julia gerechnet.
    Eine Pause folgte. „Mama?“
    Cara lachte auf. „Nein, ich bin’s! Cara! Na, wie geht’s?“
    „Cara? Na, hol mich doch … Das ist aber eine Überraschung! Und? Wie steht’s?“
    „Gut, prima! Ich bin übrigens hier!“
    „Echt? Mensch, Spitze! Für länger?“
    „Nicht allzu lange.“
    „Geschäftlich oder aus Spaß an der Freud?“
    „Eher Letzteres.“
    „Tatsächlich?“ Er schien aufrichtig überrascht zu sein und stieß ein leises, tiefes sonores Lachen aus – eine Eigenart der Südstaatler. „Hm, das ist ja ganz was Neues!“
    „Leg dich bloß nicht schon wieder mit mir an, Palmer“, scherzte Cara. „Genau genommen rufe ich vom Sommerhaus an. Mama hat mich auf ein paar Tage eingeladen, und da bin ich nun.“
    „Ach, hat sie das?“ Er schwieg einen Moment, als müsse er das Gehörte erst einmal verarbeiten. „Hast du denn schon Mamas Hausgenossin kennen gelernt?“
    Das Wort „Hausgenossin“ betonte er auf eine so eindeutige Weise, dass von vornherein klar war, was er von dem Mädel hielt: offenbar nichts. Cara seufzte und erinnerte sich an das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hatte. „Hab ich. Flüchtig. Die macht sich allerdings ziemlich rar. Außerdem hatte mich ein Migräneanfall außer Gefecht gesetzt, und zwar gleich vom ersten Tag an. Außer Gejammer habe ich keinen Piep herausbekommen. Doch nun befinde ich mich auf dem Wege der Besserung. Sag mal, Palmer, gerade eben hatte ich ein Foto von Linnea und Cooper in der Hand. Erstaunlich, wie groß die zwei geworden sind! Ich rufe an, weil ich euch allesamt eigentlich sehen wollte, wo ich schon mal hier

Weitere Kostenlose Bücher