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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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obschon ihre sonnengebräunte Haut nicht mehr so straff war wie früher. Lediglich das dichte, schneeweiße Haar verriet, dass Flo mit ihren 65 Jahren doppelt so alt war, wie sie aussah. Wenn sie redete, tat sie das mit demselben konzentrierten Elan, mit dem sie früher ihre Volksläufe bestritten hatte. „Und? Sonst alles in Ordnung? Ziemlich still bei dir, was? Wo steckt Toy?“
    „Die ist zum Markt gegangen. Sie sagte, sie wolle eine Süßspeise zum Nachtisch machen. Ich bin nicht sicher, ob sie mich mästen will oder ob ihre Hormone verrückt spielen.“
    Flo lachte. „Wahrscheinlich von beidem etwas. Aber ich habe deine Tochter überhaupt noch nicht zu Gesicht bekommen. Ist die treulose Tomate denn tatsächlich hier? Oder hast du das nur erfunden?“
    „Guck doch mal in ihr Zimmer, wenn du mir nicht glaubst! Ach halt, doch besser nicht! Sie schläft!“
    „Schon wieder? Sie schläft ja ununterbrochen! Fehlt ihr was?“
    „Sie hat Migräne. Die ersten paar Tage konnte die Ärmste nur im abgedunkelten Zimmer liegen. Ich habe sie mit reichlich Hühnersuppe aufgepäppelt. Nun geht es allmählich aufwärts. Die Kopfschmerzen klingen ab.“
    „Na also, einmal mehr erweist sich deftige Hausmannskost als Allheilmittel! Und wieso schläft das Mädchen immer noch so lange?“
    „Darüber zerbreche ich mir schon die ganze Zeit den Kopf. Vielleicht ist es einfach nur Erschöpfung. Sie arbeitet so hart und ist, wie sie sagt, richtig ausgebrannt. Kannst du dir vorstellen, dass sie mehrmals pro Monat nach New York oder Los Angeles fliegt? Das habe ich überhaupt nicht gewusst. Also, das wäre nichts für mich! Dieses ewige Hin und Her! Manchmal sogar nur für einen Tag! Ihr mag so etwas ja liegen, aber ich wäre dafür viel zu bodenständig.“ Sie schürzte die Lippen und schaute zur geschlossenen Zimmertür hinüber. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr glaubte sie, dass Trauer in Caras Blick gelegen hatte. Oder war’s Resignation gewesen? „Mein Gefühl sagt mir, dass da etwas nicht stimmt. Äußerlich scheint alles in Ordnung; es kommt eher von innen. Aber sie verrät mir ja nicht, was los ist.“
    „Das wundert mich keineswegs. Das sieht unserer Caretta ähnlich!“
    „Was willst du denn damit andeuten?“
    „Wie lange ist sie jetzt von zu Hause fort? Zwanzig Jahre? Und wie oft hat sie sich in dieser Zeit an dich gewandt, dich mal um Rat gebeten? Oder dich einfach mal besucht, nur so zwischendurch? Um mit dir zum Beispiel die alten Fotos hier zu sortieren?“ Ihre Augen funkelten. „Kein einziges Mal, wenn ich mich recht entsinne!“
    Lovie, der die Bemerkung einen schmerzhaften Stich versetzte, widmete sich wieder ihren Fotoalben. „Sie arbeitet viel und geht ihrer eigenen Wege.“
    „Ich nehme an, sie taucht hier so selten auf, weil’s einfacher für sie ist. Ihr liegt euch nämlich oft in den Haaren, ihr zwei.“
    „Tun wir
nicht
!“
    „Es artet nicht in Gebrüll aus, das stimmt wohl. Dafür seid ihr viel zu wohlerzogen.“ Flo versetzte ihre Freundin einen Stoß in die Seite. „Trotzdem existiert zwischen euch eine latente Aggression. Vermutlich merkt ihr das schon gar nicht mehr. Aber wenn du mich fragst – ich weiß, du wirst den Teufel tun, doch ich sag’s trotzdem: Ihr müsstet euch mal richtig fetzen, und zwar nach allen Regeln der Kunst. Euch mal offen und ehrlich die Meinung geigen!“
    „Toller Vorschlag“, erwiderte Lovie verdrossen. Ausgerechnet ihre beste Freundin schien die Situation offenbar absolut nicht einschätzen zu können. „Ich glaube, du irrst dich. Cara ist eben weit von zu Hause weggezogen. Dass sich damit auch eine emotionale Distanz ergibt, versteht sich doch von selbst! Außerdem war sie immer schon Einzelgängerin und kam stets sehr gut allein zurecht.“
    „Allein zurechtzukommen und allein zu sein – das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe!“
    „Was soll das jetzt heißen?“ fragte Lovie verstört.
    „Na! Ist sie etwa liiert?“
    „Keine Ahnung! Ich habe sie oft genug gefragt. Aber sobald ich das Thema anschneide, wird sie fuchtig. Sie erwähnte mal einen Kollegen, einen gewissen Richard Selby. Mit dem geht sie wohl seit geraumer Zeit aus. Ich spitze ja schon die Ohren, wenn ein Männername häufiger als zweimal erwähnt wird. Andererseits denke ich, wenn dieser Richard ihr auch nur annähernd etwas bedeuten würde, dann hätte sie doch bestimmt schon mit ihm telefoniert, oder? Aber sie hat bislang noch keine Menschenseele angerufen.“

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