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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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sich um alles gekümmert; sie liebten das Haus, und daher stand es ihnen zu. Sie sind hier sehr glücklich. Und das entspricht meinem Wunsch: dass in dieses Haus wieder das Glück einkehrt, dass in diesen Räumen wieder eine fröhliche Familie zu Hause ist.“ Melancholisch ließ sie ihren Blick durch das Zimmer wandern. Ihre blauen Augen wirkten dabei blasser als sonst – wahrscheinlich ein Zeichen von Alter und Krankheit. „Dein Vater leitete die Entscheidung ein, aus was für Gründen auch immer. Doch wer sie schließlich in die Tat umsetzte, war ich. Nicht Palmer und nicht dein Vater, sondern ich. Niemand sonst.“
    Cara spürte, dass diese Zurücksetzung sie härter und tiefer traf, als sie vermutet hätte. Sie sah ihre Mutter an. Dass ihr Bruder das Haus bekommen hatte, war nicht das Problem. Die von Lovie vorgebrachten Gründe leuchteten ein, die ganze Sache schien nur gerecht. Im Testament jedoch ganz und gar übergangen worden zu sein, das tat weh. Freilich, damals, als sie von zu Hause fortzog, war sie jung und starrköpfig gewesen. Wer war das mit 18 nicht? Aber deswegen völlig leer auszugehen …? Als ihr Vater starb, da hatte sie einen sicheren Arbeitsplatz besessen und sich stark genug gefühlt, es mit der Welt aufzunehmen. Nun allerdings verlor sie allmählich den Boden unter den Füßen. Ihr Job war futsch, dazu hatte sie ihr Lebensgefährte abserviert – und das alles im Zeitraum von weniger als zwei Wochen. Und jetzt, wo sie daheim Trost suchte, musste sie feststellen, dass sie auch von der Familie verstoßen worden war.
    Lovie schaute sie bedrückt an. „Falls du irgendetwas Bestimmtes aus dem Haus möchtest, ein Möbelstück etwa, ein Gemälde …“
    „Aber ja, Cara“, bestätigte Palmer, „du brauchst es nur zu sagen!“
    Cara schwieg; mehr als dieses Almosen hatte ihre Familie ihr offensichtlich nicht zu bieten. Sie spürte, wie tief in ihr etwas abstarb und sich ihr bewährter Selbstschutzmechanismus zu regen begann. Ihr war, als stünde eine stählerne Scheidewand zwischen ihr und dem Rest der Familie, ein Schutzschild, der schon oftmals in vergangenen Jahren die Pfeile abgehalten hatte. Zum ersten Mal hatte diese Panzerplatte sich vor zweiundzwanzig Jahren niedergesenkt, genau an dieser Tafel. Cara war gerade volljährig geworden und hatte ihren Vater, der am Kopfende des Tisches saß, darüber informiert, dass sie beabsichtige, sich an der Universität von Boston einzuschreiben. Er war wie üblich angetrunken gewesen und hatte vor Wut gekocht. Von ihrer Mutter war keinerlei Reaktion gekommen, sie hatte damals an der gleichen Stelle am Tisch gesessen wie jetzt und niedergeschlagen in ihren Teller gestarrt. Palmer war mit der Situation völlig überfordert gewesen. Er hatte stocksteif gegenüber gehockt und seine Schwester mit Blicken angefleht, ihren Vater nicht noch weiter zu reizen.
    „Für wen hältst du dich eigentlich, du dummes Gör?“ hatte ihr Vater sie angebrüllt. „Hier wird gemacht, was ich sage! Und wenn du auch nur einen Fuß aus dieser Stadt, ach was, aus diesem Haus setzt, dann ist ein für alle Mal Feierabend zwischen uns! Du haust nicht in den Norden ab, und damit basta! Ich lasse mir so etwas nicht bieten! Erst recht nicht von ’nem großmäuligen Backfisch, der auf seine Bildung und Erziehung pfeift! Du blamierst uns ja bis auf die Knochen, mich und deine Mutter! Du bleibst schön hier, Caretta Rutledge! Wenn du jetzt gehst, kriegst du nicht einen müden Dollar, nicht ein mickriges Möbelstück! Ich werde dich nicht mal mehr grüßen, wenn ich dich auf der Straße treffen sollte! Kapiert?“
    All das fiel Cara wieder ein, und ihr Verstand meldete sich. Eins war klar: So sehr sie die antiken Familienstücke auch ins Herz geschlossen haben mochte – wenn sie eins davon mitnähme, würde es sie in die Tiefe ziehen wie ein Mühlstein. Sie brauchte ihre Freiheit, heute noch genauso wie damals.
    „Nein, danke“, antwortete sie gelassen. „Die Sachen wurden dir und Julia geschenkt. Ich verzichte. Vielen Dank, dass du mir die Lage klar gemacht hast.“
    Sich nicht weiter demütigen lassen – das war jetzt alles, was sie wollte. Das Gefühl der Unterdrückung, das sie stets unter diesem Dach gespürt hatte, nahm ihr die Luft zum Atmen. Sie fürchtete, sie könne die Nerven verlieren und entweder in verbittertes Gelächter oder in Schmerzensschreie ausbrechen.
    Schließlich stand sie auf und verabschiedete sich mit den üblichen höflichen Floskeln. Man

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