Nur dieser eine Sommer
benachrichtigte Toy, Julia kam ebenfalls, um ihnen Lebewohl zu sagen, und, flankiert von Mutter und Bruder, schritt Cara zur Haustür. Dort beugte sich Palmer vor und küsste seine Schwester auf die Wange.
Noch bevor die Tür sich hinter Cara schloss, fuhr ein plötzlicher Windstoß heulend durch die Bäume. Es klang wie das hohle Lachen eines Gespenstes.
Falls der Meeresschildkröte der Platz für die Eiablage irgendwie ungeeignet erscheint, falls sie auf Wurzeln oder Fels stößt oder einen Feind wittert, kehrt sie ins Wasser zurück, ohne ihr Vorhaben ausgeführt zu haben. Dieser Vorgang wird als „missglückte Eiablage“ bezeichnet.
7. KAPITEL
W ährend der Heimfahrt herrschte Schweigen. Möglicherweise war bereits zu viel gesagt worden, vielleicht auch zu wenig. So oder so – niemand fühlte sich zur Konversation verpflichtet, und so kehrten sie stumm auf die Isle of Palms zurück. Zahlreiche Wolken bedeckten den Himmel, sodass keine Sterne zu sehen waren. Nur vereinzelt drang Licht aus Häusern und erhellte die samtschwarze Nacht.
Lovie hatte neben Toy auf dem Rücksitz Platz genommen. Vor ihr, im matten Schein der Armaturenbeleuchtung, erkannte sie den Umriss ihrer Tochter, die kerzengerade hinter dem Steuer saß, die Schultern gegen die Lehne gepresst, beide Hände fest am Lenkrad. Wie bekannt Lovie diese Körperhaltung vorkam! Schon als Kind hatte Cara regelrecht unnahbar gewirkt, wenn sie verärgert gewesen war. Palmer hatte immer gleich losgeheult, doch wenn man Cara nach ihrem Befinden fragte, hatte sie einfach den Blick abgewandt. „Gut“, war meist ihre Antwort gewesen.
Am Cottage angekommen, hielt Cara ihrer Mutter höflich die Seitentür auf, ging aber jeglicher Diskussion aus dem Weg und eilte sogleich ins Haus. Als Lovie eintrat, hatte Cara ein Glas Wasser in der Hand. Mit einem raschen „Gute Nacht“ und einer kurzen Abschiedsgeste schlüpfte sie in ihr Zimmer und schloss die Tür.
„Also, ich glaube, ich gehe auch schlafen“, meinte Toy kühl und distanziert.
„Alles in Ordnung mit dir?“
„Nur müde“, erwiderte sie, wich aber Lovies Blick aus.
Lovie schaute ihr nach und bemerkte, wie schwer dem Mädchen das Gehen mittlerweile fiel, da das Gewicht des Ungeborenen mehr und mehr drückte. „Dann gute Nacht, mein liebes Kind!“
Toy nickte nur und verschwand in ihrem Zimmer.
Mit müden Schritten schleppte sich Lovie zum Küchenherd, setzte Wasser auf, stellte dann zwei Tassen bereit, füllte Kräutertee in die Kanne und trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Dann stützte sie sich auf die Arbeitsplatte, stieß einen zitternden Seufzer aus und senkte den Kopf. Diese Phasen des Schweigens zwischen ihr und Cara brachen ihr das Herz. Sie durften nicht sein. Zwischen ihr und Cara hatte lange Funkstille geherrscht, sogar zu lange, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Nun musste sie Stärke beweisen. Flo hatte Recht: Sie sollte mit ihrer Tochter reden. Es war keine Zeit mehr zu verlieren.
Sie nahm all ihren Mut zusammen, schritt über den Sisalteppich direkt zu Caras Zimmertür und klopfte an. „Caretta?“
Keine Antwort.
„Cara?“
Schritte waren zu hören, die Tür öffnete sich, und Cara erschien. Sie trug hellblaue Pyjamahosen und ein Baumwolltop. Ihr Gesicht war sauber abgeschminkt, das dunkle Haar so gründlich gebürstet, dass es schimmerte. Auf dem Bett im Hintergrund lag ein offener und schon halb gepackter Koffer. Cara fuhr sich über die Stirn, seufzte entnervt auf und ließ die Hände sinken.
„Was ist denn noch?“
„Ich dachte, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für unser Gespräch.“
„Jetzt?“ Cara verstummte, guckte zur Decke und schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen. Ich bin viel zu müde.“ Angesichts Lovies enttäuschter Miene fügte sie aber etwas sanfter hinzu: „Und du wohl auch. Du bist doch sicher fix und fertig.“
„Allerdings. Aber ich tue bestimmt kein Auge zu, wenn wir nicht miteinander reden.“
„Das konnten wir doch noch nie gut.“
„Nein, in der Tat nicht.“
„Warum also ausgerechnet heute Abend noch?“
Lovies Blick fiel auf den Koffer. „Das liegt doch auf der Hand. Und nebenbei: Lieber spät als überhaupt nicht!“
„Vielleicht ist es schon zu spät.“
„Solange wir noch Atem zum Sprechen haben, ist es nie zu spät. Komm! Ich habe Teewasser aufgesetzt.“
Sie trugen ihre dampfenden Tassen ins Wohnzimmer. Lovie schaltete zwei kleine Lampen an, deren warme, gelbe Lichtkegel eine gemütliche
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