Nur dieser eine Sommer

schon?“
    „Schon geraume Zeit. Seit Dezember.“
    „Und wie weit ist der Krebs fortgeschritten?“
    „Leider ziemlich weit. Um es kurz zu machen: Es geht langsam mit mir zu Ende.“
    Cara war wie vor den Kopf geschlagen.
    Lovie streckte die Hand aus. „Du bist ja kreidebleich, Liebes.“
    Cara raufte sich die Haare. „Zu Ende? Zu Ende? Wieso hast du mich nicht angerufen? Ich wäre doch sofort zu dir geeilt!“
    „Ich wollte nicht, dass du nur wegen meiner Krankheit kommst.“
    „Krankheit? Aber du hast mir doch gerade mitgeteilt, dass du sterben wirst!“
    „Eben.“
    „Augenblick mal. Nicht so schnell!“ Caras Stimme hatte jenen Unterton angenommen, den Lovie von ihrer Tochter kannte, wenn diese versuchte, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten und praktisch und effizient zu denken. „Woher weißt du, dass du stirbst? Welcher Arzt hat dich behandelt? Es gibt doch neue Heilmethoden! Oder wir versuchen es mit einer anderen Klinik! Ich kenne einen Onkologen, der …“
    „Cara, hör auf! Das ist alles zwecklos. Wir können nur noch eins tun, nämlich mein Haus in Ordnung bringen. Und das versuche ich schon die ganze Zeit, obwohl es mir bislang ziemlich misslungen ist. Ich bedauere das, was heute Abend bei Palmer passiert ist. Ich hätte dir alles vorher sagen sollen, doch ich wollte einfach nur mit euch ein wenig zusammensitzen, ohne gleich besprechen zu müssen, wer nach meinem Tode was bekommt. Ich halte das für Zeitverschwendung, und die Zeit verrinnt mir zwischen den Fingern. Verstehst du das denn nicht? Es ist doch so wie vorhin, als die Schildkröte ins Meer zurückkroch! Sie entledigt sich aller irdischen Last, und danach sehne ich mich auch! Doch bevor ich scheide, muss ich meine Angelegenheiten regeln. Und den Aufschub, der mir gewährt wird, möchte ich dazu verwenden, dich aufs Neue kennen zu lernen.“
    Cara stand regungslos da und kämpfte mit den Tränen. „Und deshalb sollte ich herkommen? Das hattest du in deinem Brief gemeint?“
    „Ja.“
    „Ach, Mama …“ Wie ein Häufchen Elend sackte Cara in den Sand und schlug die Hände vors Gesicht. „Mir ist, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Es scheint alles so unwirklich zu sein! Vor kurzem noch zerfloss ich fast vor Selbstmitleid, fragte mich, welche Strafen die Götter für mich wohl noch vorgesehen haben, doch mit dieser Nachricht habe ich nie und nimmer gerechnet! Doch noch nicht so früh!“
    „Nun wein doch nicht“, flüsterte Lovie und ging neben ihrer Tochter in die Knie. Ihr Gesicht war ebenfalls tränenüberströmt. „Hat das heute Nacht nicht Spaß gemacht? Wir zwei haben etwas ganz Besonderes erlebt!“
    Cara nickte und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. „Das stimmt. Und ob!“
    „Wenn nur Palmer auch dabei gewesen wäre!“
    „Hat er von deinem Zustand Kenntnis?“
    „Nur Florence und Toy waren eingeweiht. Sie haben mir die ganze Therapie hindurch zur Seite gestanden. Doch jetzt ist die Strahlenbehandlung beendet, und ich hoffe und bete, dass mir wenigstens noch dieser letzte Sommer bleibt.“
    „Nur noch dieser Sommer? Länger nicht?“
    „Das reicht mir. Ich weiß, es klingt schrecklich egoistisch, aber ich sage es trotzdem: Bitte bleib hier! Nur diesen Sommer! Ich bin mir im Klaren, dass es für dich schwierig ist, so lange Urlaub zu nehmen, doch wenn du dich dazu durchringen könntest …“
    Cara tat einen tiefen, unsicheren Atemzug und schaute zu den Sternen hoch. All das, was in den vergangenen Wochen auf so absurde Art zu Bruch gegangen war, fügte sich anscheinend wieder zu einem Ganzen und ließ nur eine einzige Antwort zu. Und als sie die Hand ihrer Mutter nahm und sie zärtlich drückte, da erschien ein Lächeln auf Lovies Gesicht.
    „Selbstverständlich bleibe ich! Solange du mich brauchst! Ich kümmere mich um dich. Ich lasse dich nicht im Stich, das verspreche ich dir.“
    „Und deine Arbeit?“
    „Darüber zerbrich dir nicht den Kopf. Ach, Mama! Auch ich bin dir so manche Erklärung schuldig!“
    In klug abgestimmten Bewegungen setzt die Schildkröte ihre paddelförmigen Hinterbeine als Schaufeln ein, mit denen sie den Sand ausbaggert und eine birnenförmig gestaltete Grube von etwa 40 Zentimetern Tiefe aushebt. Dort hinein werden die Eier abgelegt.

8. KAPITEL
    T oy war schon früh wach, weil sie in letzter Zeit sehr schlecht schlief. Das Baby wuchs mittlerweile schnell und drückte ihr auf die Blase, sodass sie dauernd zur Toilette musste. Ihr Körper