Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
Geburtstag gegeben hat, nicht brechen darf? Es ist gegen das Gesetz.« Margaret streckte fordernd die Hand aus.
Kati ignorierte die Geste und hielt die Schlüssel fest. »Welches Gesetz denn?«
»Das Gesetz, das besagt, dass die Anzahl der gehaltenen Versprechen, die wir als Kinder erfahren, in direktem proportionalem Verhältnis zu den Versprechen stehen, die wir später als Erwachsene halten«, erklärte Margaret. »Und ich möchte, dass mein Sohn eines Tages den Weltrekord in gehaltenen Versprechen hält.«
Margaret nahm Kati die Schlüssel ab und huschte zur Tür hinaus. »Ich bin gleich wieder da.Versprochen!«
Kati ging zur Tür und rief: »Maggie …!«
Doch sie konnte nur noch einen verschwommenen Umriss erkennen, der durch den Wolkenbruch auf den Wagen zulief. Durch das Trommeln des Regens klang es, als wäre Margaret bereits weit entfernt.
»Ja, Kati …?«
»Haben Ihre Eltern denn jedes Versprechen gehalten?«
Der Regen donnerte und legte einen Vorhang zwischen sie. Durch die Dunkelheit schwebte Margarets Stimme zum
Haus: »Jedes einzelne, Katilein. Sie haben jedes einzelne gehalten.«
Margaret hatte ohne Zwischenfälle ihr Büro erreicht. Schnell hatte sie T. J.s Rollschuhe geholt und sich wieder ins Auto gesetzt. Doch inzwischen nahm das Unwetter an Intensität immer weiter zu, so dass sie Schwierigkeiten hatte, die Markierungen auf dem Highway und die Verkehrszeichen am Straßenrand zu erkennen. Der Regen schien beinahe undurchdringlich, und der Wind donnerte wie ein Rammbock gegen den Wagen. Der Lärm war unbeschreiblich, und Margaret begann sich um T. J. zu sorgen. Sie betete, dass er in diesem schrecklichen Unwetter nicht aufwachte und feststellte, dass seine Mutter nicht im Haus war.Was mit einem spontanen Impuls begonnen hatte - ihre nächtliche Spritztour wegen der vergessenen Rollschuhe -, fühlte sich langsam wie eine gefährliche Fehleinschätzung an.
Die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer drangen nur wenige Meter durch das Unwetter, ehe sie von ihm verschluckt wurden. Margaret befand sich praktisch im Dunkeln. Der Wagen schien wie eine Rakete durch das Weltall zu schießen. Sie streckte die Hand nach dem Radio aus; dann zog sie sie zurück, um sie wieder ans Steuer zu legen. Den Wetterbericht konnte sie sich sparen. Sie stammte aus Neuengland und wusste, was draußen los war.
Der Sturm, der sich schon seit Tagen zusammengebraut hatte, entwickelte sich zu etwas viel Schlimmeren: einem Hurrikan, einem peitschenden Atlantikunwetter, das sintflutartige Regenfälle mit sich brachte; das den Ozean aufwühlte und ihn mit grimmiger Wucht gegen die Küste warf.
Angespannt beugte sich Margaret über das Lenkrad und
versuchte, durch die Wassermassen auf der Windschutzscheibe etwas vom Straßenverlauf zu erkennen.
Plötzlich fiel das trübe, unsichere Licht der Scheinwerfer auf etwas Massives, das die Straße direkt vor ihr blockierte. Margaret trat mit aller Kraft aufs Bremspedal; im nächsten Augenblick spürte sie, wie die Bremsen blockierten. Der Wagen geriet ins Schleudern und begann sich langsam im Kreis zu drehen. Sie wusste, dass sie sterben würde.
Sie hatte den quer stehenden LKW nicht rechtzeitig gesehen. Und in dem Sekundenbruchteil, der ihr noch blieb, erschien ein schnelles Kaleidoskop von Bildern vor ihrem inneren Auge: sie erblühten, rasteten kurz ein, veränderten sich …
… Ihre irische Mutter, jung und wunderhübsch, die Margaret durch die wilden Frühlingsblumen auf dem unbebauten Grundstück hinter ihrem Haus in der Grand Street führt.
… Die zarte Berührung der italienischen Sonne und ein winziges, handgemachtes Skizzenbuch aus Leder. Dicke, elfenbeinfarbene Seiten. Der Einband so sinnlich und weich wie die geöffneten Lippen eines schlafenden Liebhabers.
… Ein Meer junger Gesichter, die zu ihr aufblicken. Ihr zuhören. Sie bewundern.
… Der Geruch frischer Limonen und der Klang der Musik Beethovens.
… Eine Hand, die sich unter ihren Pullover und an der Kurve ihrer Brust entlangdrängt, und der Junge, zu dem die Hand gehört, wie er vor Lust nach Luft schnappt.
… Rollschuhe.
… Ein Blitz über der Wüste von Arizona, der einen flammenden Riss in den nächtlichen Himmel schlägt.
… Die übelriechenden Ausdünstungen ihres Großvaters.
… Astronauten und ein Zirkuselefant und Shakespeare
und die Konsistenz von frischem Pastetenteig, Richard Nixon und Spinnen.
… Der Klang des Regens. Und kreischende Bremsen.
… Und T. J.s Gesicht. Und T. J.s
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