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Nur ein Augenblick des Gluecks Roman

Titel: Nur ein Augenblick des Gluecks Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dianne Dixon
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Geschichte selber erzählt hast. Dieses kleine Lied hatte alles, was nötig war, damit du dir dein emotionales Bollwerk errichten konntest.«
    »Ari«, sagte Justin. »Willst du wissen, wie das Bollwerk von hier drinnen aussah?« Er tippte an seine Stirn. »Wie vergammelnder … schwarzer … Schweizer Käse.«
    »Den Vergleich musst du mir wohl erklären«, entgegnete Ari.
    »Stell dir vor, du siehst einen Film durch ein Stück Teerpappe, in das man Löcher gestanzt hat. So war es für mich. Ich konnte immer nur Teile des Films sehen«, erklärte Justin. »Als ich im College versucht habe, über mein Leben nachzudenken, mich an Besonderheiten zu erinnern … da konnte ich es nicht. Es war völlig abgedreht. Ich wusste, dass ich ein Kind gewesen war. Ich konnte mich erinnern, wie mein Zimmer ausgesehen hatte, aber das einzige Haus, von dem ich ein Bild vor meinem inneren Auge hatte, war das
in der Lima Street. Und ich wusste, dass ich zur Schule gegangen war … aber ich konnte mich nur an ganz allgemeine Dinge erinnern … dass ich zum Beispiel auf der Wilson Highschool war, mich aber nicht an die Namen der Lehrer oder die Gesichter der Kinder in meiner Klasse erinnern konnte. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wie ich selber ausgesehen hatte.« Justin hielt inne und lachte ironisch. »Soll ich dir was sagen? Ich habe nie ein einziges Foto von mir als Kind gesehen. Nur als Kleinkind, und später als Student.Aber nichts dazwischen.« Wehmütig fügte er hinzu: »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich als Jugendlicher aussah.«
    Ari beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. Er musterte Justin aufmerksam. »Während all dieser Jahre, zwischen dem College und deiner Rückkehr hierhin aus London … Da hattest du absolut keine Erinnerung an eine der Pflegefamilien, in denen du gelebt hast?«
    »Es war verrückt«, erwiderte Justin. »Ich konnte spüren, dass es diese dunklen Stellen in meinem Kopf gab, Zeug, an das ich nicht herankam, und das hat mir verdammte Angst gemacht. Aber wirklich sicher wusste ich nur die Sache mit Justin Fisher aus der Lima Street. Der Rest war ein einziger riesiger Wirrwar.«
    »Du warst vier Jahre auf dem College und danach zehn Jahre in London«, stellte Ari fest. »Das ist eine lange Zeit, um mit so etwas zu leben.Warum hast du nie einen Versuch unternommen, dahinterzukommen? Warum hast du nicht versucht, Kontakt zu deiner Familie aufzunehmen? Oder mit einem Psychologen darüber zu sprechen?«
    Justin ging zum Fenster und starrte hinaus. Er wartete eine Weile, ehe er antwortete: »Die Wahrheit ist, dass ich wusste, dass ein Teil von mir ernsthaft im Arsch war.«

    »Und, warum hast du nichts unternommen?«
    »Weil ich viel zu viel Angst hatte. Bei jedem Versuch, herauszubekommen, was es mit diesen leeren Stellen in meinem Gehirn auf sich hat, überfiel mich dieses schreckliche Gefühl, dass ich sterben müsste, wenn ich mich nicht davor in Sicherheit brächte.«
    »Aber was war mit deinen Freunden … Leuten, mit denen du gearbeitet hast … was hast du denen erzählt?«, fragte Ari.
    »Nicht viel«, antwortete Justin. Dann lächelte er. »Die meisten Menschen sind viel mehr an ihrem eigenen Leben interessiert als am Leben anderer.« Er schaute Ari an und fuhr ironisch fort: »Jeder hat mich für den Inbegriff von Einfühlsamkeit und Charme gehalten. Und weißt du warum? Weil ich mir vor Angst in die Hosen gemacht habe, über mich selber und meine Geschichte zu sprechen. Ich habe es meisterhaft gelernt, das Gespräch komplett um mein Gegenüber kreisen zu lassen.«
    Justin seufzte erschöpft. »Und dann kam ich nach Hause, und der Justin-Fisher-der-nie-existiert-hat fuhr in die Lima Street. Und dann hat all das Verrückte plötzlich überhandgenommen.«
    Ari heftete seinen Blick auf Justin. »Du hast Justin Fisher aus der Lima Street benutzt, um dich zu retten«, sagte er. »Daran war nichts Verrücktes. T. J.s Leben war zu hart. Wenn du nicht davor geflohen wärst, hätte es dich umgebracht.«
    Als Justin das Wort »umgebracht« hörte, zuckte er zusammen.
    Sein Herz schlug mit der Macht einesVorschlaghammers. »Ari, es gibt noch etwas, das ich dir sagen muss. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber wenn es stimmt, ist es eine riesige
Sache. Bedeutender als all das, was wir über T. J. herausgefunden haben.«
    Ein langes Schweigen herrschte, ehe Justin seinen Gedanken zu Ende brachte. »Es ist größer. Und es ist viel bedeutender.«

T. J.
    Middletown,

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