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Nur ein Augenblick des Gluecks Roman

Titel: Nur ein Augenblick des Gluecks Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dianne Dixon
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wirkte zerstreut und abgelenkt und überfiel Kati wie ein Wirbelwind: Kati sollte T. J. dazu bringen, mit dem Weinen aufzuhören; Kati sollte ihren Verlobungsring bewundern; Kati sollte ihr zeigen, wo das Telefon stand, damit sie ihren Verlobten anrufen konnte; und Kati sollte schnell T. J.s Sachen zusammenpacken - alles, was Kati in einem einzigen Koffer unterbringen konnte.
    Der letzte Auftrag der Sozialarbeiterin lautete, dass Kati ihr Zugang zu Margarets Akten verschaffen sollte; sie musste T. J.s Geburtsurkunde finden.

    Kati - betäubt durch den Schock von Margarets Tod und der Trauer übers T. J. Notlage - stopfte seine Kleidung in einen alten blauen Koffer und überreichte der Frau einen großen Umschlag, der ganz unten in einer von Margarets Schreibtischschubladen gelegen hatte.
    Quer über den Umschlag hatte Margaret in ihrer eleganten Handschrift die Worte »Für T. J.« geschrieben. Darin befanden sich zwei Gegenstände: eine Geburtsurkunde (mehrfach zusammengefaltet und nicht größer als eine Kreditkarte) und ein Spiralheft voller Schnappschüsse. Weder Kati noch die Sozialarbeiterin untersuchten beides eingehender. Die Sozialarbeiterin, weil sie es eilig hatte. Kati, weil der Schmerz sie betäubt hatte.
    Sie sah T. J. zum letzten Mal, als die Sozialarbeiterin ihn aus dem Haus trug. Er streckte seine Hand in einer verzweifelten, ängstlichen Geste nach Kati aus - als versuchte er, nach einem Wunder zu greifen. Und immer wieder und wieder stellte er dieselbe Frage: »Mommy?«
    Kati schloss die Tür von Margarets Haus, lehnte sich dagegen und schaute sich im Wohnzimmer um. Dabei fiel ihr Blick auf T. J.s Flügel.
    Draußen in der Auffahrt hatte die Sozialarbeiterin den Jungen auf dem Rücksitz ihres Sedans festgeschnallt. Sie hatte den Umschlag geöffnet und den Inhalt herausgenommen - die Geburtsurkunde und das Spiralheft. Bei der Geburtsurkunde handelte es sich nicht um das erneuerte Dokument, das bei der Bestätigung von T. J.s Adoption ausgestellt worden war, sondern um jenes, das Margaret zusammen mit dem Umschlag erhalten hatte. Die Urkunde identifizierte T. J. als Thomas Justin Fisher, einen Jungen, der in der Lima Street wohnte.
    Das Dokument landete schließlich in einem Aktenordner
- dem Ordner, der von diesem Augenblick an die offizielle Dokumentation von T. J.s Leben und Identität enthalten sollte.
    Als die Sozialarbeiterin noch dabei war, das Spiralheft in T. J.s blauem Koffer zu verstauen, blickte sie auf und bemerkte Kati an der hinteren Tür des Wagens, wie sie sich abmühte, einen Flügel in Kindergröße auf den Rücksitz zu schieben.
    Die Sozialarbeiterin wollte sie auffordern, damit aufzuhören und das Klavier wieder aus dem Wagen zu ziehen. Dann aber schaute sie in Katis Augen. Die Entschlossenheit, die sie dort sah, verbot ihr jedes weitere Wort.

    T. J.s neues Zuhause war eine Bruchbude in Middletown. Ihr Anstrich war längst zu einer Mischung aus Aschgrau und Rost verblasst, zur Farbe der Verwahrlosung. Das Haus gehörte Kevin Loudon und seiner Frau Angela.
    Die Bereitschaft der Loudons zur Aufnahme von Pflegekindern war durch ihre irrige Annahme motiviert, dass sich das Projekt als lukrativ erweisen würde. Die Bereitschaft der Kinderfürsorge, ihnen tatsächlich Kinder anzuvertrauen, war motiviert durch pure Notwendigkeit: Es gab mehr Kinder als Familien, die sie aufnehmen wollten.
    Die Loudons waren geschenkte Gäule, in deren Mäuler die Bürokratie nicht zu genau schauen wollte. Sie waren schlampige, gereizte Menschen, die ihre Frustration wie unzureichend überschminkte Kriegsbemalung mit sich herumtrugen. Das Scheitern klebte an ihnen wie Kaugummi an einer Schuhsohle. Auf der durchhängenden vorderen Veranda ihres Hauses befanden sich eine Reihe Gartenstühle aus Aluminium und zwei junge Boxerhunde in einer Lattenkiste.

    Drinnen war das Haus überraschend hell und sauber. Die Wände waren in Pastelltönen gestrichen, und vor den Fenstern hingen fleckenlose Vorhänge. Die aufeinander abgestimmten Ahornmöbel - auf Kredit bei Sears erworben - wirkten frisch poliert und staubfrei. Der Zustand der Räume, die sie bewohnte, war Angelas ganzer Stolz. Es handelte sich um denselben Stolz, mit dem sie sich selbst betrachtet hatte, ehe sie eine Loudon geworden war - damals, in ihrer Zeit als Angela DiMarco.
    Angela war in Middletown geboren und einst so schön gewesen, dass selbst die Ministranten weiche Knie bekommen hatten - einfach weil sie ihnen zugeblinzelt hatte, wenn sie an

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