Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
das irrationale, erstickende Band der Geburt an sie gefesselt waren, lernten sie es nicht, wegzuschauen. Sie konnten dem Gesicht ihrer Mutter und dem Wahnsinn darin nicht ausweichen. Sie waren gezwungen, durch den Fluss ihrer wütenden Reden zu manövrieren wie durch eine Reihe wütender Stromschnellen. Und wenn Angie fertig war, schmiegten sie sich an ihre Mutter und versprachen, sich zu bessern. Dann nahmen sie ihr die Scheuerbürste aus der Hand und arbeiteten mit aller Kraft daran, für sie ein Haus zu putzen, das bereits makellos sauber war.
Und weil dasselbe irrationale und erstickende Band sie auch an Kevin fesselte, konnten sie auch von ihm nicht wegschauen - selbst wenn sie aus den Betten gezerrt und wegen ihrer angeblichen Faulheit verhöhnt wurden und seine rissigen
Arbeitsstiefel polieren sollten, bis diese glänzten - selbst wenn sie mit dem Gürtel geprügelt wurden, weil sich kein Glanz auf dem vom Schnee ruinierten und salzbefleckten Leder zeigen wollte.
T. J. aber war nicht ihr Kind. Er konnte wegschauen. Und das tat er. Über die Jahre hinweg entwickelte er die Fähigkeit, in Gesichter zu schauen, ohne sie wirklich zu sehen. Er lernte, seinen Blick vage zu halten und mit den Gedanken anderswo zu sein - in der Welt, die auf den Fotos in seinem Spiralheft existierte. Dem sicheren Hafen, den das Haus in der Lima Street für ihn bedeutete.
Jahre vergingen. Während Sozialarbeiter kamen und gingen, blieb T. J. das verlassene Pflegekind im Haushalt der Loudons. Diese kassierten weiter ihre Schecks für seine Pflege und wurden mit zunehmendem Alter noch wütender und instabiler. Irgendwann schließlich, als T. J. beinahe zwölf war, verließ Kevin Loudon Middletown in einem Chevy-Lastwagen mit einer jungen Frau namens Donna. Sie trug keine Unterwäsche und sah aus, wie Angela einmal ausgesehen hatte, in einer längst vergangenen Zeit.
In der Folge von Kevins Verschwinden quartierten sich Angela und ihre Kinder im hinteren Zimmer des Hauses von Angelas Eltern in der Francis Avenue in Middletown ein, und T. J. wurde der Fürsorge von Stan und Suzy Zelinski übergeben.
Die Zelinskis besaßen ein bescheidenes Heim mit einem Quadrat gepflegten Rasens vor dem Haus; einem Haus, an dem jedes Jahr vor dem ersten Schnee des Winters zusätzliche Kälteschutzfenster angebracht wurden, die pünktlich mit dem Schmelzen des letzten Schnees wieder verschwanden.
Stan Zelinski war groß und kräftig und bewegte sich mit militärischer Präzision. Seine tägliche Uniform bestand aus einem Arbeitshemd aus Jeansstoff und Khakihosen mit einer messerscharfen Bügelfalte. Er besaß denselben Haushaltswarenladen in Middletown, der schon seinem Vater und Großvater gehört hatte, und war in zahlreichen Projekten der Gemeinde engagiert, vor allem solchen, die mit jungen Menschen zu tun hatten.
Stan und Suzy hatten einen Sohn und, über die Jahre hinweg, zahllose Pflegekinder. So viele, dass die Zeitungen häufig darüber berichtet hatten und dass die Leute den Ausdruck »Zelinski Kids« benutzten, wenn sie von den Kindern sprachen, die durch Suzys und Stans Pflege gegangen waren. Die Mehrheit der Zelinski Kids waren Mädchen gewesen, weil - wie Stan von Anfang an erklärt hatte - er und Suzy nach der Geburt ihres Sohnes keine weiteren Kinder mehr haben konnten; und weil Suzy kleine Mädchen haben wollte, um die sie viel Wirbel machen konnte. Suzy war lieb und ungekünstelt. Mollig und mit 42 immer noch mädchenhaft. Eine Frau, die jedes Mal, wenn sie ein Formular ausfüllte, das die Angabe eines Berufs verlangte, stolz »Mom« in das Feld schrieb.
Bei den Zelinskis hatte T. J. sein eigenes Zimmer. Es war klein und hübsch, und an der Wand über dem Bett hing das gerahmte Poster einer Flugshow. Suzy hatte T. J. erzählt, dass Ted, als er ungefähr so alt wie T. J. gewesen war, gern das Poster angeschaut und vom Fliegen geträumt hatte. »Ich dachte, du hättest vielleicht auch Spaß daran«, erklärte Suzy. »Aber wenn du lieber etwas anderes zum Träumen möchtest, sagst du mir einfach Bescheid, o.k.?«
T. J. zeigte kein Interesse an ihrem Angebot. Er war bereits im Besitz der Bilder, die seine Träume beflügelten; sie
befanden sich in einem abgegriffenen Spiralheft ganz unten in seinem ramponierten blauen Koffer.
Die Zeit bei Suzy und Stan erwies sich als willkommene Erholung von den Schwankungen, die T. J. in seinen Jahren bei den Loudons erlebt hatte - war die Zeit dort ein Molotow-Cocktail gewesen, so erinnerte das
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