Nur ein Blick von dir
abgelenkt. Er hat dich wirklich sehr gern.« Ich beugte mich zu ihr und senkte die Stimme. »Ich glaube, er hätte dich viel lieber zur Schwester gehabt als Catherine.« Ich lächelte ihn an, während ich das sagte.
Mit der leichten Röte im Gesicht wurde Olivia noch hübscher. »Ehrlich? Und du hasst mich nicht?«
»Natürlich nicht. Das könnte ich überhaupt nicht.« Ich widerstand dem Drang, sie in den Arm zu nehmen. Das hätte nicht funktioniert und sie außerdem vielleicht erschreckt. »Aber ich würde dich so gerne besser kennenlernen. Wie wär’s, wenn wir ein Mädelstreffen ausmachen, um ordentlich miteinander zu quatschen?«
Das zögernde Lächeln wurde immer breiter, als ich zurücklächelte. »Bist du ganz sicher? Ich möchte nicht lästig …«
»Total sicher! Es wär toll.«
Olivia drehte sich schnell zu Callum, um sich zu vergewissern, ob ich das ernst meinte. Callums Lächeln wurde ebenfalls breiter, und ich sah, dass er etwas sagte. Olivia hüpfte vor Aufregung fast herum. »Er sagt«, legte sie dann etwas außer Atem los, »er sagt, dass ich mit dir kommen kann, wenn du nachher nach Hause gehst! Ich glaube, ich bin noch nie so weit weg gewesen. Ich kann’s gar nicht abwarten! Hast du eine kleine Schwester, die ich auch kennenlernen kann? Ist es ein großes Haus? Hast du irgendwelche Tiere?« Ich konnte ihr kaum folgen, so schnell sprach sie. Es war, als wäre ein Damm gebrochen, als wäre sie von einem Bann befreit.
»Ich verspreche, für all das haben wir jede Menge Zeit. Ich zeige dir unser Haus und meine Familie. Keine kleine Schwester, tut mir leid, aber ich hab einen großen Bruder, gar nicht mal so schlecht, verglichen mit anderen großen Brüdern, nur manchmal ein bisschen nervig.« Während ich sprach, strahlte Olivia ständig weiter und wäre offenbar am liebsten den ganzen Tag hier sitzen geblieben. Doch ich hatte andere Pläne. Als ihre Fragen langsamer kamen, ergriff ich meine Chance. »So, du überlegst dir jetzt, was du mir alles erzählen willst, während ich mit Callum auf die Kuppel hochflitze. Ich glaub nicht, dass wir so arg lange bleiben, und dann kommst du mit mir nach Hause. Abgemacht?«
Olivia nickte und ein schönes Lächeln hellte ihr kindliches Gesicht auf. »Prima. Abgemacht. Du bleibst doch nicht so lange, oder?«
»Wahrscheinlich nicht – ich glaube, die Goldene Galerie ist heute nicht geschlossen.« Ich versuchte, ihr die Hand zu drücken, doch ich konnte sie überhaupt nicht spüren. »Warte hier. Wir sind bald wieder da.«
Ich stand auf und schaute durch den Raum zu der Tür, die zur nächsten Galerie führte. Während mein Blick über die verschiedenen Gestalten glitt, an denen ich mich vorbeibewegen musste, blieb er an einer Frau in einem Priestergewand hängen. Sie schaute intensiv zu mir her, und ich fragte mich, ob ich jetzt gleich aufgefordert würde, die Kathedrale zu verlassen, weil ich ganz offensichtlich hier drin mein Handy benutzt hatte. Doch als sie merkte, dass ich sie gesehen hatte, wandte sie plötzlich den Blick ab. Selbst auf diese Entfernung schien sie ziemlich alt, und mit dem Priestergewand wirkte sie seltsamerweise wie eine von den Versunkenen.
Mir war irgendwie klar, dass ich mich nicht an ihr vorbeidrücken wollte, um zur Tür zu gelangen, selbst wenn sie nun nicht mehr zu mir herguckte. Daher drehte ich mich schnell um und ging zur anderen Seite. Als ich dann durch die Tür war, seufzte ich erleichtert auf und nahm sofort die steile Wendeltreppe nach oben zur Steingalerie in Angriff. Als ich nach draußen ins Licht trat, schloss sich Callum mir wieder an.
»He, wir haben Glück! Es sieht so aus, als wäre die obere Galerie jetzt doch geschlossen. Die Schilder für die Instandhaltungsarbeiten hängen seit rund zwanzig Minuten.« Er strahlte mich an.
»Wirklich? Wunderbar. Aber willst du nicht Olivia sagen, dass sie etwas länger auf uns warten muss?«
»Gut. Geh du schon mal vor. Wetten, dass ich trotzdem vor dir da bin?«
»Das ist ja wohl kaum eine faire Wette«, meinte ich und lächelte. Alleine mit Callum auf der Goldenen Galerie – das Beste, was mir passieren konnte! Ich tänzelte geradezu über die Absperrung wegen der Bauarbeiten und in die dunklen Tiefen des Kuppelinneren. Die alte Eisentreppe ächzte und stöhnte, als ich mich nach oben arbeitete. Ich achtete auf mein Atmen, als ich plötzlich auf dem Absatz über mir eine Gestalt im Umhang wahrnahm. Sie war nur etwa zwanzig Stufen von dem kleinen Raum mit dem
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